Wir sind hier nicht bei Wünsch-dir-was!

Judith Kuckart - Wünsche   Cover: DumontWas tun, wenn man sein ganzes Leben vergeudet hat? Was tun, wenn man sich ein ganz anderes Leben wünscht? Ganz klar: Weggehen, von vorne anfangen. Judith Kuckart behandelt in ihrem neuen Roman Wünsche ein Thema, das bereits vielfach literarisch aufgearbeitet wurde: die gute, alte Midlife-Crisis. Leider kann sie dem nicht viel Neues hinzufügen.

von ESRA CANPALAT

Same procedure as every year“, sagt Karatsch jedes Jahr an Silvester in seinem holprigen Englisch, wenn er den Film, in dem einst seine Frau Vera als Kind mitgespielt hat, allen anwesenden Gästen vorspielt. Dieses Jahr nicht, denkt sich Vera. Sie stiehlt aus der Umkleide eines Schwimmbads die Tasche einer Frau mit dem ätherischen Namen Salomé Schneider, nimmt nicht nur ihre Kleidung, sondern auch ihre Identität an sich, und reist nach London. Ohne Geld, ohne Plan. Einfach nur raus aus dem alten Leben, einen Schlussstrich ziehen. Wie gerne wäre sie doch Schauspielerin geworden. Stattdessen ist sie nach dem Tod ihrer Adoptivmutter direkt in die Arme von Karatsch gelaufen, ist Berufsschullehrerin und Mutter geworden. Der Wunsch, anders zu sein, ist steter Begleiter in Veras Leben geblieben.

Symptome der Midlife-Crisis

Vera ist aber nicht die einzige, die ihren Wünschen hinterherjagt. Friedrich, der durch seinen Nachnamen – Wünsche – dazu prädestiniert ist, sich Traumwelten hinzugeben, will aus dem Kaufhaus, das er geerbt hat, ein nostalgisches Kaufhausparadies wie zur Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs der 1950er Jahre erschaffen: Drehtür am Eingang, nette, stets beratende Verkäuferinnen, Seidenpapiere, in die die Einkäufe gelegt werden. Trotz Zweifel von vielerlei Seiten bezüglich dieses Konzepts, will Friedrich – stets Relikte seiner Kindheit vor Augen – dieses unbedingt umsetzen. Seine exzentrische Schwester Meret steht ihm mehr schlecht als recht zur Seite. Meret, einst beste Freundin von Vera, weiß selbst nicht, was sie mit sich anfangen soll. Dank ihrer verrückten, unkonventionellen Art schafft sie es immer wieder, ihre Mitmenschen zu irritieren und abzustoßen. Und dann wäre da noch Hannes, den Meret – koste es, was es wolle – zu verführen versucht. Ob er die langsam an ihrer Attraktivität zweifelnde Meret mag oder nicht, ist unklar, scheint er selber doch nicht so genau zu wissen, was er will. Somit grast Judith Kuckart alle möglichen Symptome der allbekannten Midlife-Crisis ab.

Altbackene Erkenntnisse

So weit so gut. Dem einen oder anderen werden solcherart Figuren und Erzählstränge bekannt sein. Fragt sich, was Kuckart über diese krisenhafte Phase im mittleren Alter, die Wohl oder Übel jeden von uns ereilt, Neues hinzuzufügen hat. Leider recht wenig. Der mehrdeutige Titel des Romans verspricht zunächst viel, doch die Wünsche vonseiten des Lesers bleiben, um das Wortspiel mit dem Titel weiterzuführen, leider unerfüllt. Die Botschaft am Ende der dreihundert Seiten ist: Es kommt nie so, wie man es sich wünscht. Weil man sich selbst im Weg steht. Weil es zu spät ist, sich oder sein Leben zu ändern. Weil man einfach selber nicht weiß, was man will. Das Leben ist kein Ponyhof. Wir sind hier nicht bei Wünsch-dir-was. Und so weiter. So resigniert auch Vera: „Weg bin ich wegen all der Leute, die ich schon so lange kenne. Aus dem gleichen Grund bin ich wieder zurückgekommen. Ich dachte immer, das ist schlimm, dass ich bei uns nur die sein kann, die alle kennen. Jetzt weiß ich, genau die kann ich nur sein.“ Auf solcherart Weisheiten stößt man noch öfters beim Lesen, die einen manchmal sehr berühren: „Wenn man glücklich ist, sagt sie (Vera), weiß man oft nicht, dass man glücklich ist. Aber hinterher weiß man es. Doch wenn man traurig ist, weiß man immer genau, wie traurig man ist, oder, Sohn?“ Auf Dauer langweilen diese bedeutungsschwangeren Sprüche ziemlich. Zwar passt diese öde Sprache perfekt zu den ausgelaugten Figuren Kuckarts und gibt deren krisenhafte Situation passend wieder: „Wie geil ist denn das? Meret klatscht in die Hände, und Vera findet, sie ist zu alt für das Wort geil.“ Doch auf Dauer sind diese altbackenen Erkenntnisse ermüdend.

Den einen oder anderen Leser wird der Roman der vielfach ausgezeichneten Kuckart (zuletzt mit dem Anette-von-Droste-Hülshoff-Preis 2012) ansprechen. Für den diesjährigen Deutschen Buchpreis und das Rennen um den „besten Roman des Jahres“ hat Wünsche jedenfalls nicht gereicht. Bei der Bekanntgabe der sechs Finalistinnen der Shortlist fiel der Name Judith Kuckart nicht.

Judith Kuckart: Wünsche
Dumont Verlag, 301 Seiten
Preis: 19,99 Euro
ISBN: 978-3-8321-9705-6

2 Gedanken zu „Wir sind hier nicht bei Wünsch-dir-was!

  1. Ich kann mich den Eindrücken anschließen, auch mich konnte Judith Kuckart ja leider nicht überzeugen – während die Thematik an sich mich doch interessiert, bleibt die Ausarbeitung für mein Empfinden dann doch zu lückenhaft. Wenn Judith Kuckart auf der Shortlist einen Platz gefunden hätte, wäre ich doch überrascht gewesen …

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