Eine himmlische Legion von unzähligen Unbekannten

Eliot Weinberger: Engel und Heilige, Berenberg Verlag GmbH

Ein Buch, zwei Aufsätze und ein Haufen Fakten über himmlische Wesen. In dem Buch Engel und Heilige entführt der Essayist Eliot Weinberger den Leser auf eine chronologische, aber doch verwirrende Reise und untersucht die vielseitigen Funktionen von Engeln. Ob Italien oder Japan, einmal um den Globus erzählt er, wie Menschen zu Heiligen werden.

von CHRISTINA CHARALAMPIDOU

Gibt es 6666, 301.655.722 oder doch insgesamt 399.920.004 Engel? Schon allein der Versuch alle möglichen Engel zu zählen ist eine Menge Arbeit und zieht Aufmerksamkeit auf sich. Jeder, der kein Theologe oder Geistlicher ist, würde wahrscheinlich zustimmen: Da blickt doch niemand durch! Ob man an Engel glaubt oder nicht, Eliot Weinbeger stellt sich in Engel und Heilige nicht die Frage über ihre Existenz, sondern über ihre Funktion und wie Menschen sie im Laufe der Zeit wahrgenommen und beschrieben haben.

Im ersten Teil des Sachbuchs, beleuchtet Weinberger die Eigenschaften von Engeln und zitiert dabei oft aus der Bibel sowie die Kirchenväter Augustinus von Hippo und Thomas von Aquin. Laut der Bibel ist die Substanz ihres Daseins nicht erläutert. Engel könne man leichter anhand ihrer Taten beschreiben als an ihrem Aussehen, weil sie körperlose Wesen seien. Außerdem können Engel auch nicht sprechen und verständigen sich über ein „inneres Sprechen“ – wie eine Art Telepathie, könnte man sagen. Weinberger beginnt verschiedene Quellen zu zitieren, in denen beschrieben wird, wie Engel den Menschen geholfen haben und welcher Engel, welche Funktion hat. Zu Beginn lässt sich annehmen, dass die ausgesuchten Quellen und Personen chronologisch angeordnet sind, beim weiteren Lesen aber fällt auf, dass er oft zwischen den Jahrhunderten umherspringt.

Engel

Der Text wirkt im weiteren Verlauf, wie eine Ansammlung von Epigraphen, Zitaten, theologischen Schriften und Chroniken, die keinen Anfang und kein Ende nehmen. Inmitten aller Fakten setzt Weinberger oft poetische Textstellen ein, insbesondere, wenn es um die Beschreibung von Engeln geht:

“Denn nach Belieben kleiden Geister sich

In ein Geschlecht, in beide oft zugleich;

so zart und einfach ist hier reiner Stoff,

Gebunden nicht an Glieder und Gelenke […]“.

Die Engel aus dem Werk des Dichters John Milton können als genderfluid beschrieben werden, manche von ihnen können sich auch fortpflanzen. Sehr viele unterschiedliche Meinungen, die Weinberger heraussucht und in dem Buch sammelt.  Dabei greift er vor allem auf mittelalterliche Kirchenlehren, die in seiner Forschung eine besonders große Rolle spielen und die immer wieder erwähnt werden, zurück.

Hierarchien scheinen bei Engeln auch eine Rolle zu spielen, wie Thomas von Aquin beschreibt. Dennoch seien die Kenntnisse über die Hierarchie der Engel unvollkommen, denn so könne man die Hierarchieordnung nur im Allgemeinen unterscheiden. Ungewohnt erscheint es, wenn man auf sechs Seiten hintereinander Engelsnamen mit ihren Funktionen liest. So heißt es, dass Causaub der Engel sei, der Schlangen zu beschwören vermag, Radueriel der Engel der Poesie sei oder Asmodai, der Engel, der Mathematik lehrt und Menschen unsichtbar zu machen vermag. Einige Engel hüten Bibliothekare, andere beschützen Bankiers und Börsenmakler oder beglaubigen Teufelspakte – so vielseitig sind die Engel.

Heilige

„Die Katharer glaubten Menschen seien gefallene Engel, gefangen in einem irdischen Körper wegen der Sünde der Rebellion“. So endet der Erste Teil von Weinbergers Engelsanalyse. Im Zweiten Teil beginnt er unterschiedliche Geschichten von heiliggesprochenen Menschen zusammenzutragen. Unter den ganzen Hagiographien hat sich Weinberger Unbekannte oder recht vergessene Persönlichkeiten ausgesucht. Heilige wie Thekla aus der Türkei, Andronikos und Athanasia aus Syrien, Johannes Klimakos aus Ägypten und Mechthild von Magdeburg aus Deutschland widmet er längere Passagen. Genesius von Arles wurde enthauptet und sein Kopf wurde nach Spanien gebracht, wo er zum Schutz gegen schuppiges Haar ausgerufen wurde. Ailbe von Emly aus Irland, der eine Wolke in 100 Pferde verwandeln könne – Weinberger agiert aber als neugieriger Forscher und lässt selbst die absurdesten Heiligsprechungen nicht außer Acht, was das Buch interessant zu lesen macht. Die einen Heiligen wurden Schutzpatrone für Hunde, Katzen und Mäuse. Elisabeth von Thüringen wurde nach ihrem Tod Stücke von ihren Kleidern, Haaren, Nägeln und Brustwarzen abgeschnitten, die als Reliquien behalten wurden. Andere Heilige bekommen von Weinberger nur eine kleine Notiz, wie Hyazinth von Porto Romano aus Italien: „Er war Märtyrer, dessen Existenz nur zu vermuten ist.“

Dieses Buch verwirrt einen und zaubert einem im nächsten Moment ein Grinsen ins Gesicht. Es bringt schon längst vergessene Geschichten an den Leser. Weinberger präsentiert seine Entdeckungen mit einer Sachlichkeit, die gelegentlich von subtilem Humor durchdrungen ist: „Engel sind göttliche Funkgeräte“, heißt es an einer Stelle beispielsweise. Seine Auswahl von Engeln und Heiligen lässt beim Lesen grübeln und regt zum Nachforschen an. Die überwiegend sachliche Sprache von Weinberger lässt einen nur vermuten, was seine persönliche Meinung zu der himmlischen Thematik ist. Die Auswahl von Engeln und Heiligen, die teils einen humorvollen Charakter tragen, verleihen dem Buch einen zusätzlichen Charme, der die aneinandergereihten Geschichten nicht allzu trocken erscheinen lässt.

Eliot Weinberger: Engel & Heilige. Übersetzt von Beatrice Faßbender

Berenberg Verlag, 168 Seiten

Preis 28,00 Euro

ISBN: 978-3-949203-68-8

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