Willkommen in der Andy Kaufman Show

Matthias Breitenbach, Leopold von Verschuer in "Der Sturm"   Foto: Thilo Beu

Matthias Breitenbach, Leopold von Verschuer in „Der Sturm“ Foto: Thilo Beu

Schwarzlicht, Discokugeln, Loopstation und psychedelisches Farbenspiel: Shakespeares Der Sturm feierte in der Regie von Thomas Krupa die letzte Premiere im Grillo Theater Essen vor der Sommerpause. Krupa beschwört eine magische Insel zwischen machthungrigen Despoten und 1990er-Jahre-Ikonen, Kolonialisierung und Netzhemden – „a friendly, friendly world“, wie der Entertainer Andy Kaufman zynisch singen würde.

von NADINE HEMGESBERG

Eine Inszenierung mit einem Rausschmeißerlied zu beginnen, könnte man als gewagt bezeichnen.

Eine Inszenierung mit einem Rausschmeißerlied zu beginnen, dessen Urheber von seinen treuesten Fans (und bescheuertenVerschwörungstheoretikern) noch immer am Leben gewähnt wird, könnte man als gelungen bezeichnen.

Eine Inszenierung mit einem Rausschmeißerlied zu beginnen, dessen Urheber von seinen treuesten Fans (und bescheuerten Verschwörungstheoretikern) noch immer am Leben gewähnt wird, gezupft auf der Ukulele und gesungen von einem Paar trauriger Clowns, kann man als intertextuelle und geglückte Spitzfindigkeit bezeichnen.

Kennen Sie eigentlich Andy Kaufman?

Ich löse Ihnen das auf: Stephano (diabolisch: Matthias Breitenbach) und Trinculo (Leopold von Verschuer) eröffnen den Sturm mit dem Lied Friendly World von Entertainer, Performancekünstler und Wrestler Andy Kaufman, der 1984 einem Krebsleiden erlag. Seine Fans glauben jedoch (und das wahrscheinlich bis heute), dass Andy wiederkommen wird – hatte er doch zu Lebzeiten selbst angekündigt, 20 Jahre nach seinem Tod zurückzukehren, und hatte er kurz vor seinem Tod an einem Drehbuch über einen Mann gearbeitet, der seine Lungenkrebserkrankung nur vortäuschte, um unbemerkt aus der Öffentlichkeit zu verschwinden. Im Jahr 2004 feierten Fans eine rauschende Welcome-Home-Party – freilich ohne dass Kaufman daran partizipierte. Vornehmlich am Ende seiner Shows und Auftritte gab Kaufman den Song von der freundlichen Welt zum Besten. Dass sich der Entertainer großartig als rahmendes, allegorisches Vorzeichen für den Sturm und vor allem für die Figur des Prospero (Jens Winterstein) eignet, dürfte sich, ob der mangelnden Bekanntheit von Andy Kaufman in Deutschland, allerdings auf Anhieb nur den Wenigsten im Publikum erschließen.

Altes und neues Ränkespiel

Der Sturm zieht auf, es dröhnt und grollt, die beiden clownesken Gesellen brüllen gegen die Naturgewalt an – Stephano: „Wollt ihr den Untergang?“; im Taumel dann auch Trinculo: „Wir scheitern.“ Was nun folgt, ist die Geschichte des zunächst vertriebenen und danach auf einem Eiland über die Geister und Inselkreaturen herrschenden ehemaligen Herzog von Mailand Prospero und das entfachte Ränkespiel der alten Herrschaftsverhältnisse in der schönen neuen Welt.

Die Bühne (Andreas Janker) ist dabei Projektionsfläche, drei schwarze Wände hängen herab, nicht ganz bis zum Boden, mit der eingezogenen Decke bilden sie einen Innenraum – Enge und Kammerspiel sowie Weite der Insel sind hier gleichermaßen angelegt. In der Mitte befindet sich eine Art musikalische Zauberblackbox, die nicht nur vielerlei elektrische Anschlüsse birgt, sondern vielmehr äußerlich stilles Sinnbild für die psychologischen Schrecken der Zauberei ist. Nach und nach bevölkern diesen kargen schwarzen Innenraum nicht nur Prospero und Tochter Miranda (Lisan Lantin im Ethno-Outfit und in Anlehnung an die DJane der 1990er Jahre, Marusha), sondern auch der Luftgeist Ariel (Janina Sachau, singend und quietschend) und die gestrandeten hohen Herrschaften Alonso (Rezo Tschchikwischwili) und Gonzalo (Sven Seeburg), Ferdinand (akrobatisch: Philipp Noack), und das gleich zweifache, da in schauspielerischer Personalunion, doppelte Lottchen, Stephano/Sebastian und Trinculo/Antonio, die der von Prospero und Ariel herbeigezauberte Sturm hat kentern lassen.

In mal mehr, mal weniger schnell aufeinanderfolgenden Szenen, die mittels einer Black-Zäsur voneinander getrennt und durch jeweilige Projektionen an die schwarzen Wände und wechselnde Beleuchtung (Licht: Michael Hälker) unterschieden werden, entspinnt sich die Geschichte. Im konspirativen Gespräch mit Ariel wird Prospero nur von weißen Strahlern erhellt, dunkles Pink für die Sprechakte zwischen Miranda und ihrem Vater, die Erkundung der Insel des Trupps um Alonso, Gonzalo, Sebastian und Antonio in floralem Grün. Die Projektionen eines Nervennetzes und sirenenhafter Gesang an der Loopstation von Ariel für den Luftgeistgequälten Ferdinand und die digitalisiert mikroskopierten Anemonen- oder Wurmformationen für die „Bestie“ Caliban (in Netzhemd und Perücke: Axel Holst).

Jens Winterstein in "Der Sturm" Foto: Thilo Beu

Jens Winterstein in „Der Sturm“ Foto: Thilo Beu

Herrschaft und Macht

Ob sich Krupa und sein Dramaturg Florian Heller mit diesem die Handlung parallelisierenden Arrangement einen Gefallen getan haben, wird sich vielleicht bei späteren Aufführungen noch besser sagen lassen, dauern einige Neukonstellierungen in der Dunkelheit doch gefühlt zu lang. An sich jedoch bedienen sie sich hier eines ausgezeichneten Mittels, um den Strippenzieher Prospero als Erzählerfigur aus der Bühnenhandlung herauszunehmen und zum episodisch Kommentierenden und Eingreifenden zu machen, der sein Zauberwerk begutachtet und vertraulich zum Publikum spricht. Einen Fokus legt diese Inszenierung des Shakespearestoffes vermehrt auf das Clownspaar – haben diese nicht die wunderbare Eigenschaft in Klamauk verpackt, stets die Wahrheit zu sprechen? –, die die Herrschaftsverhältnisse umkehren und mit Hilfe der nun zum zweiten Mal unterjochten Inselkreatur Caliban Prospero den Inselthron streitig machen wollen. Die Doppelrollen von Breitenbach und von Verschuer, die als Antonio und Sebastian in bester Pulp Fiction-Manier (schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte und gezogene Knarren) den amtierenden König von Neapel kaltmachen wollen, verstärken diesen Eindruck – rein von der Bühnenpräsenz her.

Axel Holst, Leopold von Verschuer, Matthias Breitenbach, Janina Sachau in "Der Sturm"   Foto: Thilo Beu

Axel Holst, Leopold von Verschuer, Matthias Breitenbach, Janina Sachau in „Der Sturm“ Foto: Thilo Beu

Whitefacing und Kolonialisierung

Ein starkes Bild kreieren Krupa und Heller, indem sie Caliban und das Clownspaar nicht Alkohol trinken lassen, sich aber dafür symbolisch mit weißer Farbe das Gesicht und später auch den Körper bemalen. Und so den unzivilisierten Wilden Caliban, den sie ebenfalls lustvoll einreiben, nicht nur habituell, sondern auch ganz leibhaftig weiß und europäisch machen. Wobei diese „Kriegsbemalung“ ebenfalls in der Symbolik doppelt aufgeladen ist: Ähnelt sie doch einer indianischen rituellen Kriegsverzierung gleichermaßen wie der symbolischen Annahme der weißen Hautfarbe.

Zum Ende wird die Aufführung ein wenig zäh und zum Teil überladen: Discokugeln werden herbeigeschleppt, im Schwarzlicht trottelt das Clownspaar nur in Unterhosen bekleidet über die Bühne, Ferdinand muss in den Zauberwürfel starren (sein Konterfei wird an die Rückwand projiziert) und Kopfhörer werden an den Würfel angeschlossen und alle Neuankömmlinge von Ariels (jetzt im schwarzen Latexanzug und gelbe Flüssigkeit gurgelnd und spuckend) Musikzauberei halb irre gemacht.

Es lohnt sich, Krupas Inszenierung nicht nur allein, sondern auch im Vergleich zu der Inszenierung von Volker Hesse am Schauspielhaus Düsseldorf zu betrachten (zur Besprechung). Nicht nur liegen den beiden Inszenierungen unterschiedliche Übersetzungen des Shakespeare-Stoffes zu Grunde (B.K. Tragelehn und Erich Fried), sondern auch deutlich anders gelagerte Schwerpunkte in der Dramaturgie. Krupas Inszenierung ist sichtlich aufgeladener durch die intertextuellen Verweise und Bezüge zur 1990er Popkultur, während Hesses Sturm weitaus pompöser (bei gleichzeitiger Reduziertheit – manchmal fast nur auf das Technische – des Bühnenbildes) wirkt. Entschlüsseln Sie also die „friendly world“ von Thomas Krupa und dem Essener Ensemble in stürmischen Gefilden.

Informationen zum Stück
Weitere Vorstellungen:
Samstag, der 20. Juni
Freitag, der 26. Juni
Wiederaufnahme in der Spielzeit 2015/16

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