Der musikalische Traum eines Hundes

"Moondog" am Schauspielhaus Bochum im Rahmen des FIDENA Festivals Foto: Diana Küster

„Moondog“ am Schauspielhaus Bochum im Rahmen des FIDENA Festivals Foto: Diana Küster

Der Clochard und Komponist Moondog wäre heuer 100 geworden. Das Festival Figurentheater der Nationen 2016 widmet seiner Musik einen ganzen, nach ihm benannten Theaterabend am Schauspielhaus Bochum. Was daran Figurentheater ist? Es gibt einen riesenhaften Hund zu sehen – und im Hintergrund Reflexionen darüber anzustellen, was die Theaterform kann und was nicht.

von FABIAN MAY

Während auf der Bühne Streicher, Holzbläser und ein Perkussionist die ersten Stücke spielen, fragt sich das Publikum noch, mit was für einer Art Aufführung man es zu tun hat. Soll es nach jedem Stück klatschen wie im Konzert, oder diesen mitunter störenden Bildungsbürger-Reflex lieber unterdrücken? Und wo bleibt hier eigentlich das Figurentheater, von dem bei diesem Festival doch die Rede war?

Erst als der zottelige Berg, der die gesamte hintere Bühne der Bochumer Kammerspiele ausfüllt (Konzept/Ausstattung: Stefanie Oberhoff), zu atmen beginnt, weicht die anfängliche Irritation freudigem Erkennen. Der etwas abgerissene Riesenhund hebt, bewegt von drei Schauspielern an Seilzügen, den Kopf, er hechelt, sabbert, klappt sein Ohr in Richtung der Musik auf, blinzelt ungläubig. An einer Stelle dreht er sich nach den Musikern um, die angesichts der riesenhaften Erscheinung nach und nach flüchten. Es ist, als würde er die Musik des US-amerikanischen Clochards und Komponisten Moondog träumen.

Huldigung des blinden Musikers

Diese Musik ist, das zeigt diese Moondog-Huldigung im Rahmen des FIDENA-Festivals, eigenwillig und großartig. Louis Thomas Hardin, 1916 in Kansas geboren und 1999 in Münster gestorben, war blind und Autodidakt. Als Sohn eines Wanderpredigers saß er häufiger in Indianerreservaten und erhielt dort seine Rhythmus-Sozialisation. In den 1940er Jahren lebte er zum Teil obdachlos in New York, wo damals der Jazz in der Luft lag und auch die Philharmoniker frei genug waren, sich bei ihren Proben in der Carnegie Hall mit einem Straßenmusiker sehen zu lassen. Über 500 meist kleine, bewegte und vielseitig inspirierte Kompositionen soll er geschaffen haben.

Die Aufführung der Bochumer Regisseurin und Festival-Intendantin Annette Dabs zeigt Moondogs Nachleben an einer seiner einstigen Wirkungsstätten. Er lebte die letzten 22 Jahre seines Lebens in NRW, genauer in Oer-Erkenschwick, und nahm unter anderem mit den Bochumer Symphonikern auf. Dabs, einige Mitarbeiter in den Bühnenwerkstätten und der Perkussionist des Moondog-Abends, Stefan Lakatos, haben Moondog noch persönlich erlebt. Lakatos reiste Anfang der Achtziger von Schweden nach Oer-Erkenschwick und wurde, sagt er, durch die Begegnung mit Moondog und seiner selbsterfundenen Trimba vom bildenden Künstler selbst zum Perkussionisten. Für viele Produktionsbeteiligte ist es ein Herzensprojekt.

Solche Projekte scheitern regelmäßig – wenn sie zwar begeistert sind, aber darüber vergessen zu begeistern. Mit der Musik Moondogs – streng komponiert, treibend untertrommelt und jazzig akzentuiert – kann das nicht passieren. Für sie gilt, was Brian Eno einst anerkennend über Ambient Music geschrieben hat: Sie müsse „vielen Graden der Aufmerksamkeit Raum bieten, ohne eine bestimmte zu forcieren: Sie muss ebenso leicht überhörbar wie interessant sein“.

"Moondog" am Schauspielhaus Bochum im Rahmen des FIDENA Festivals Foto: Diana Küster

„Moondog“ am Schauspielhaus Bochum im Rahmen des FIDENA Festivals Foto: Diana Küster

Seht her: Das kann Figurentheater …

Genauso deutlich, aber unaufdringlich führt Dabs inszenatorisch vor, was alles Figurentheater sein kann. Ihre entschieden am Material orientierte Inszenierung beginnt damit, dass das Publikum nach einem harten Black erst einmal eine halbe Minute im Dunkeln gelassen wird. Laserpointer-Glühwürmchen umschwirren einander. Auch das Spiel mit Größe könnte deutlicher nicht ausgearbeitet sein. Was ist groß? Was ist gewiss? In einer verrauschten Aufnahme sitzt Moondog im Garten in Oer-Erkenschwick und witzelt, ob die Vögel nun die Martinshörner nachahmen oder die Martinshörner die Vögel. In seiner Welt, scheint Moondog sagen zu wollen, liegt das nicht so klar auf der Hand.

Einmal führt am Bühnenrand vor dem Riesenhund eine 40 Zentimeter kleine Moondog-Handpuppe auf einem Notenständer den Prozess der Inspiration vor: Moondog liest in einem Buch mit Musik in Blindenschrift, unterbricht sich immer wieder mit Kompositionsbewegungen, dann folgt eine Glitterexplosion. Das zart mit zwei Ukulelen begonnene Stück wächst zum Streichquintett aus.

… und da hat es Grenzen.

Das Festival-Publikum ist gerührt und amüsiert von der kleinen Puppe des Komponisten und der großen des mondsüchtigen Blindenhundes, nach dem er sich seinen Künstlernamen gab. Dabei fühlt sich der Abend an wie das Betrachten einer Installation im Museum: Wer eine klassische Narration in den montierten Einzelteilen sehen will, muss sie sich selber zusammenklauben.

Man kann nämlich gar nicht viel erzählen mit diesem Hund, der drei Schauspieler schwitzen lässt; das merkt man am Ende, als das sperrige Stofftier im engen Guckkasten halb aufsteht. Geht es hier um die Grenzen der stofflichen Bühne? Wenn das beabsichtigt ist, muss man anerkennen, dass diese Aufführung ihre Materialität konsequent zu Ende denkt.

Nach zwei Moondog-Aufführungen bei FIDENA ist erst mal keine weitere angesetzt. Regisseurin Dabs findet es aber denkbar und wünschenswert, das Stück weitere Male zu zeigen, und will darüber nun verhandeln.

 

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