Eine Idee von NYC in NRW

George Balanchine: Mozartiana © The George Balanchine Trust FOTO © Gert Weigelt

George Balanchine: Mozartiana © The George Balanchine Trust FOTO © Gert Weigelt

Das New York City Ballet ist untrennbar mit zwei Namen verbunden: George Balanchine und Jerome Robbins. Jeweils ein Werk der wegweisenden Choreografen wurde nun ausgewählt, um für Martin Schläpfers Uraufführung Konzert für Orchester einen mehr als stimmungsvollen Rahmen zu bilden. Schläpfer schmückt sich bei seinem Ballettabend b.29 mit zwei der wichtigsten Vertreter des Neoklassischen Balletts und schafft es dennoch, hervorzustechen.

von STEFAN KLEIN

Das Ballett am Rhein zeigt in seinem Haus in Duisburg einen abwechslungsreichen Ballettabend mit drei auf den ersten Blick sehr unterschiedlich wirkenden Werken. b.29 beginnt mit der melancholischen Mozartiana von George Balanchine, bietet dann mit Martin Schläpfers intensiver und fordernder Uraufführung Konzert für Orchester ein krasses Kontrastprogramm und entlässt sein Publikum mit dem brüllend komischen The Concert von Jerome Robbins. So unterschiedlich die Werke auch vom Publikum wahrgenommen werden, so eint sie doch der Gedanke des „Neuen“. George Balanchine gilt als der Wegbereiter des Neoklassischen Balletts, Jerome Robbins arbeitete eng mit Balanchine zusammen, fand jedoch eine sehr eigene Interpretation des Neoklassischen, und Martin Schläpfer zeigt mit dem harten Kontrast seines gewählten Rahmens, in welche Richtung das Ballett heute tendiert.

Mozartiana – Hommage an eine Hommage

Vor einem strahlend blauen Hintergrund, nur gerahmt durch schwarze Vorhänge an den Seiten, schweben die Tänzer förmlich mit eleganten Schritten und virtuosen Sprüngen über die Bühne. Gekleidet in romantische Kostüme voller Tüll und Rüschen (Kostüme: Rouben Ter-Arutunian) erzählt das Ensemble der Ballettkompanie keine Geschichte im klassischen Sinne, sondern bringt die zu hörende Musik in Bewegungen Balanchines auf die Bühne.

Unter der Leitung von Wen-Pin Chien spielen die Duisburger Philharmoniker Peter I. Tschaikowskys Suite Nr. 4 G-Dur op. 61, die sogenannte Mozartiana Suite. Wer genau hinhört, könnte bemerken, dass in Tschaikowskys Komposition Melodien eines anderen Komponisten versteckt sind: Wolfgang Amadeus Mozart. „Eine große Anzahl der höchst bewundernswerten kleinen Werke Mozarts sind, unverständlicherweise, sehr wenig bekannt, nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch der Mehrzahl der Musiker. Ich wollte einen neuen Anstoß zur Aufführung dieser kleinen Meisterwerke geben, deren kurze und bündige Form solche unvergleichliche Schönheit enthält“, verriet Tschaikowsky seine Intention hinter dem 1887 entstandenen Werk.

So wie die Suite eine Verbeugung Tschaikowskys vor Mozart ist, ist Mozartiana eindeutig eine Hommage Balanchines an die wunderbare Musik Tschaikowskys. Keine Bewegung scheint hier ohne Bezug zur Musik zu sein. Feline von Dijken, Marcos Menha und Alexandre Simões begeistern die Premierenbesucher mit Balanchines Varianten der Grand Jetés, Saut-de-chats und Pirouetten und bringen sie sogar dazu, nach fast jedem Abgang einen Applaus zu spenden.

Jerome Robbins: The Concert © The Robbins Rights Trust FOTO © Gert Weigelt

Jerome Robbins: The Concert © The Robbins Rights Trust FOTO © Gert Weigelt

The Concert – Slapstick-Pantomime

Wir kennen Jerome Robbins heute wahrscheinlich vor allem für seine Choreografien zu Leonard Bernsteins Broadway-Klassiker West Side Story (1957) und der darauf basierenden Verfilmung von 1961. Als Ballettmeister für das New York City Ballet schuf er jedoch weitere, wegweisende Ballette. Mit The Concert von 1956 zeigt das Ballett am Rhein nun eines der wahrscheinlich komischsten Werke aus Robbinsʼ langer Liste sehenswerter Arbeiten.

Zur Musik Frédéric Chopins wird die Geschichte eines Klavierkonzertes erzählt (Klaviersolist: Matan Porat). Die nach und nach „antanzenden“ Besucher sind ein bunter Strauß von Stereotypen, und es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass sich der ein oder andere Duisburger Besucher in den witzigen Überzeichnungen entdeckt. Nach der Vorstellung des Publikums sehen wir verwirrte Ballerinen, einen mordlüsternen Ehemann und eine unschlüssige Hutträgerin, die ihre Bewunderung für den Pianisten nur schwer verstecken kann.

Robbinsʼ Choreografie ist fast mehr Pantomime als „typisches“ Ballett und weit entfernt von seinen Arbeiten West Side Story oder beispielsweise Fancy Free (1944). Doch auch wenn man sich vielleicht im Vorfeld auf die hübsch gestreckten Sprünge der Sharks oder charmante Matrosen-Drehungen gefreut hat, wird man nicht enttäuscht. Die Duisburger Compagnie tanzt und spielt die absurden Charaktere mit einer solchen Freude, dass man jede Erwartung über Bord wirft und sich fast wünscht, dass man The Concert abendfüllend hätte sehen können.

Konzert für Orchester – Epileptische Tribute von Duisburg

Die Hauptattraktion des Abends sollte mit Sicherheit die Uraufführung Konzert für Orchester von Martin Schläpfer sein. Zur fast unerträglich spannenden Musik von Witold Lutosławski kreierte Schläpfer ein Bühnenstück für die gesamte Compagnie. Die Spannung in der Musik, die sich immer weiter zu steigern scheint, kann Schläpfer eindrucksvoll in Bewegung umwandeln. Der Choreograf spielt mit der Wucht der Musik und setzt ihr manchmal sanfte, meist aber aggressiv wirkende Bewegungen entgegen, die die Kraft des Orchesters noch mal unterstreichen. Die Progressivität wird auch von den Kostümen (Bühne und Kostüme: Florian Etti) unterstützt. Sie erinnern in ihrer Gradlinigkeit fast an archaische Rüstungen und wecken Die Tribute von Panem-Assoziationen. Mit seiner düsteren Bühne fängt Etti sehr gut die Stimmung sowohl der Musik als auch des Tanzes ein.

Die Idee des Archaischen kommt auch in Martin Schläpfers Choreografie durch. Das Programmheft schreibt, es seien „ekstatisch schüttelnde(…) und bodennahe(…) Bewegungen“, die an eben diese Naturverbundenheit erinnern sollen. Das „ekstatische Schütteln“ wirkt bei manchem Ensemblemitglied eher wie ein leichter epileptischer Anfall und die bodennahen Bewegungen zeigen sich unter anderem in im Krebsgang krabbelnden Tänzern. Beides wirkt eher komisch und passt daher sicher nicht zur Grundstimmung.

Sieht man über diese Kleinigkeiten hinweg, zeigt Martin Schläpfer, dass er intensivstes Tanztheater schaffen kann. Konzert für Orchester hat das Potential, auch den skeptischsten Abonnenten davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, zeitgemäßes Tanztheater anzusehen.

Ein gelungener Ballettabend

Das Ballett am Rhein hat mit b.29 einen Ballettabend zusammengestellt, wie er abwechslungsreicher nicht sein könnte. Und dennoch schaffen es die drei vorgestellten Werke, im Zusammenspiel eine Einheit zu bilden. Warum man sich nun auf den Weg nach Duisburg macht, wird jeder für sich selbst entscheiden müssen. Ob es nun die zeitlose Schönheit von Balanchines Choreografie, das komödiantische Highlight des Robbins-Werkes oder aber die Innovation der Schläpfer-Kreation ist: Jeder findet seinen eigenen Grund, mit b.29 einen guten Abend zu verbringen.

 

Informationen zur Inszenierung
 
 
Nächste Vorstellungen:
Dienstag, der 01. November
Samstag, der 05. November
Mittwoch, der 16. November

 

Hinterlasse einen Kommentar