Samsons Schwachstelle oder: Das Alte Testament auf der Opernbühne

"Samson et Dalila" an der Deutschen Oper am Rhein Foto: Jochen Quast

„Samson et Dalila“ an der Deutschen Oper am Rhein Foto: Jochen Quast

Camille Saint-Saëns dürfte den meisten Musikliebhabern weniger als Opernkomponist, eher als Verfasser von Konzert- bzw. Orchesterstücken bekannt sein – allen voran Le Carnaval des animaux (Der Karneval der Tiere). Mit Samson et Dalila schuf der Franzose aber auch ein Meisterwerk des spätromantischen Musiktheaters, das nun in einer Neuinszenierung in der Deutschen Oper am Rhein zu erleben ist. Die Partitur weiß hier Axel Kober zum Leuchten zu bringen, während Regisseur Joan Anton Rechi eine beeindruckend stimmige Aktualisierung des biblischen Stoffes gelingt.

von HELGE KREISKÖTHER

Ferdinand Lemaire wäre heute vermutlich niemandem mehr bekannt, hätte er nicht eine Cousine von Saint-Saëns geheiratet und – auf Grundlage des Alten Testaments, genauer gesagt dreier Kapitel aus dem Buch der Richter – das Libretto zu dessen Oper Samson et Dalila verfasst. Ursprünglich sollte dieses Werk nach Absicht des Komponisten ein geistliches, nicht-szenisches werden: ein Oratorium (wie Händels Samson von 1743). Der Stoff brachte nach Lemaires Einschätzung jedoch genügend musikdramatisches Potenzial mit sich, sodass er 1877, knapp 20 Jahre nach Saint-Saëns’ ersten Entwürfen, in dreiaktiger Operngestalt seine Uraufführung erlebte: kurioserweise im Großherzoglichen Theater zu Weimar, auf Initiative des weltberühmten Ex-Kapellmeisters Franz Liszt. In Frankreich (und somit in der Originalsprache des Textbuchs) sollte Samson et Dalila erst 1890 aus der Taufe gehoben werden. Seitdem gehört das Stück mit seinen wuchtigen Chorszenen, seiner orchestralen Dichte und Klangfarbenintensität allerdings zum unumstößlichen Standardrepertoire. Dalilas schmachtende Arie Mon cœur s’ouvre à ta voix (auf Deutsch nicht ganz so schön: Mein Herz öffnet sich Deiner Stimme) liegt etwa in zahlreichen Bearbeitungen vor.

Die Handlung dieser Opéra ist rasch erzählt. Samson, furchtloser Anführer der Israeliten, führt seinen Stamm in die Rebellion gegen die scheinbar übermächtigen Philister. Doch leider bringt ihn dann – wie so oft in mythologischen und alttestamentarischen Zeiten – ein Weib zu Fall. Die verführerische Dalila aus dem Stamm der Feinde, mit der Samson schon einmal „zusammen“ war, gewinnt mit ihren Reizen abermals die Oberhand über den Unbesiegbaren. So entlockt sie ihm das Geheimnis seiner Stärke (die Haare) und liefert ihn, wenn auch eher aus persönlicher als aus politischer Rache, an die Philister aus. Gefesselt, geblendet und seiner Mähne beraubt, muss Samson das Bacchanal zu Ehren des heidnischen Dagon mitansehen, bevor ihm von seinem christlichen Gott ein letztes Mal die alte Kraft zurückgegeben wird…

Kumpel und Nutten statt Hebräer und Philister

Joan Anton Rechi, der in der Spielzeit 2012/13 mit der Csárdásfürstin sein Regiedebüt an der Deutschen Oper am Rhein gegeben hatte und hier zuletzt mit seiner Version von Puccinis Madama Butterfly in Erscheinung getreten war, präsentiert eine Sichtweise auf Samson et Dalila, die unzeitgemäßen historisierenden Ballast abwirft. So wird das unterdrückte Volk der Hebräer, dem Samson Mut zuspricht, als blau eingekleidete Kumpeltruppe dargestellt – Düsseldorf liegt ja bekanntlich fast noch im Ruhrgebiet –, die Philister wiederum in snobistischen Blazern, Anzügen und Krawatten gezeigt (Kostüme: Mercè Paloma). Ein besonderer Hingucker sind außerdem die Philisterinnen im Gefolge Dalilas – sinnlich eingepelzte Nutten jeden Alters, ohne Moral und Gewissen. Dabei geht es Rechi aber nicht um die chauvinistische Augenweide: Vielmehr verpasst er dem ersten Frauenchor der Oper, der von den Blüten im Lenz singt, eine rau-realistische Visualisierung, wenn besagte Halbweltdamen blutverschmiert, ihre Freier torkelnd daherkommen.

Bei der Kostümierung hören die innovativen Ideen noch nicht auf. Wenn die Philister die von ihnen Unterjochten drängen, ihrem Gott abzuschwören, lässt Rechi Geldscheine ins Volk werfen, denn der einzige Gott des 21. Jahrhunderts heißt Kapitalismus. Weiterhin ist Dalila bei ihm nicht grundlos bösartige Femme fatale – das „verfluchteste Luder, das die Erde trägt“, wie Goethe sagte –, sondern aufgrund ihres kriminellen Gewerbes selbst ständig von ruchlosen Männern umgeben. Diese Zeichnung macht die Figur indessen nicht weniger reizvoll. Feinsinnig abgestufte Lichtstimmungen setzen sie und die anderen Protagonisten adäquat in Szene (Licht: Volker Weinhart).

"Samson et Dalila" an der Deutschen Oper am Rhein Foto: Jochen Quast

„Samson et Dalila“ an der Deutschen Oper am Rhein Foto: Jochen Quast

Kirchengesang, Wagner-Anleihen und eine Prise Exotik

Auf kompositorischer Ebene bietet Saint-Saëns in seiner bekanntesten Oper einen spannenden Mix aus „vorgetäuscht“ geistlicher Musik – inspiriert durch die großen Chorwerke Bachs und Händels –, aus Wagner’scher Motivdichte und einem feurig orchestrierten Exotismus. Besonders das rauschhafte Bacchanal im dritten Akt lässt unter der Zuhörerschaft kaum ein Bein still. All diese Facetten gestaltet Axel Kober, Generalmusikdirektor der Deutschen Oper am Rhein sowie Chefdirigent der Duisburger Philharmoniker, mit viel Liebe zum solistischen Detail, aber auch mit dem souveränen Blick für das  dramatische Ganze. Die Düsseldorfer Symphoniker spielen unter seiner Leitung sehr transparent, obgleich die Akustik des Hauses sie stellenweise etwas „bedrückt“. Der Chor der Deutschen Oper am Rhein (Einstudierung: Gerhard Michalski) singt wiederum kristallkar und lässt auch darstellerisch keine Wünsche offen.

Ein Augen- und Ohrenschmaus mit Seltenheitswert ist die rumänische Mezzosopranistin Ramona Zaharia als Dalila. Ihr gelingt durch Ausstrahlung und sinnliches Timbre, was im Wesen der Oper liegt: zu betören. Wenn sie also in einem Jahr als Carmen an der New Yorker Metropolitan Opera debütiert, kann man sich den Erfolg bereits ausmalen. Michael Weinius, der ihr als Samson-Tenor zur Seite steht, meistert die herausfordernden Höhen seiner mehr oder minder heroischen Partie, sieht aber stellenweise angestrengter aus als er klingt. Fulminant schlägt sich außerdem der Bariton Simon Neal als gerissener Oberpriester des Dagon: Einschüchternd, dennoch wandlungsfähig, mit schier satanischer Besessenheit weiß er Dalila zu instrumentalisieren. Für Freunde der französischen Oper, die sich inzwischen erfreulicherweise auch bei uns (neben den deutschsprachigen und vor allem italienischen Repertoireklassikern) zu etablieren scheint, bleibt also stimmlich kein Wunsch offen. Inszenatorisch dürften es Nachfolger sogar schwer haben, an diese konzise Version von Samson et Dalila anzuknüpfen.

 

Informationen zur Inszenierung

Nächste Vorstellungen:
Sonntag, der 20. Oktober
Mittwoch, der 23. Oktober
Samstag, der 26. Oktober

 

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