Sex mit der Ex und einem Ehepaar

Sally Rooney: Gespräch mit Freunden; Cover: Luchterhand

Es ist eine wilde Geschichte voller Eskapaden, in die sich Frances und ihre Ex-Freundin hineinmanövrieren.Sie geraten an ein Ehepaar, dem sie beide jeweils schöne Augen machen. Sally Rooneys Gespräche mit Freunden gibt sich an vielen Stellen jung und hip – gerade darin liegt jedoch der Schrecken dieses Buchs: Ist unsere Generation denn wirklich so verklemmt, wie es hier den Anschein hat?

von THOMAS STÖCK

Pornografische Literatur, das ist irgendwie schmuddelig. Man sollte meinen, wir sind im 21. Jahrhundert mittlerweile so weit, dass wir über unsere Sexualität selbstbestimmt reden können. Und für gewisse Milieus mag dies auch durchaus zutreffen. Doch in der vermeintlich hohen Literatur führt ausgelebte Sexualität immer wieder dazu, dass Menschen an dieser Sexualität Anstoß nehmen. Zu nennen wäre D. H. Lawrences Roman Lady Chatterley’s Lover (dt.: Lady Chatterleys Liebhaber), das 1928 in der heute am weitesten verbreiteten dritten Fassung fertiggestellt wurde. Lawrence selbst zensierte diese dritte Fassung – damit das Buch überhaupt publiziert werden konnte. Im Jahre 1960 kam es zu einem „Obszönitätsprozess“, der die unzensierte Version der dritten Fassung zum Gegenstand hatte. Durch diesen Prozess sollte Lawrence der Mund verboten werden. Seitdem ist viel passiert: Eine sexuelle Revolution später erfreut sich pornografische Literatur eines regen Publikumsinteresses und auch Themen abseits der heteronormativen Sexualität sind gangbar und gern gelesen. Doch selbst ein Autor wie Haruki Murakami ist nicht davor gefeit, sich für seine Schilderungen von Sexszenen etwas anhören zu müssen. Während in der legendären Sendung des literarischen Quartetts am 30. Juni 2000 Hellmut Karasek und Marcel Reich-Ranicki seinen Roman Gefährliche Geliebte wertschätzen und Murakami als zukünftigen Nobelpreisträger sehen, stößt sich Sigrid Löffler hingegen an der „Männerfantasie“, die insbesondere die Protagonistin des Buchs darstelle. „Bestenfalls literarisches Fastfood“ sei das, was Murakami fabriziert. Sieht man einmal ab von den persönlichen Angriffen Reich-Ranickis an die Adresse seiner Kritikerkollegin, so bleibt doch ein Kernproblem bestehen: Sex und Weltliteratur, darüber gibt es Verständigungsprobleme. Was darf, was soll Sex in einem Werk von literarischem Rang?

Wenn die High Society sich zu gut fürs Ficken ist

Anhand von Sally Rooneys Gespräche mit Freunden lässt sich diese Frage vortrefflich stellen. Gleich vier Figuren treffen aufeinander – und treiben es miteinander. Ganz so plastisch wird der Roman nicht, den sonst so eindrücklich-ehrlichen Tonfall des Romans findet man in seinen Sexszenen nicht wieder. Ein „Fick dich!“ an die Protagonistin Frances, geäußert von ihrer Affäre Nick, ist drin. Die High Society, die sich zur ménage à quatre zusammenfindet, ist sich aber augenscheinlich zu fein, um so schmuddelige Ausdrücke wie ficken überhaupt in den Mund zu nehmen, wenn es in die Kiste geht.

„Im Bett fragte er mich oft, was sich gut anfühle. Ich sagte, alles fühle sich gut an. Ich fühlte mich sehr erhitzt, und ich gab ständig Laute von mir, aber nur einzelne Silben, keine echten Wörter. Ich schloss die Augen. Das Innere meines Körpers war so heiß wie Öl. Eine überwältigende und heftige Energie hatte Besitz von mir ergriffen und schien mich zu bedrohen. Bitte, sagte ich. Bitte, bitte. Irgendwann setzte sich Nick auf, nahm eine Packung Kondome aus seinem Nachttisch, und ich dachte: Ich werde nach dieser Sache nie wieder ein Wort rausbringen. Aber ich gab mich ohne Widerstand hin. Nick murmelte das Wort ‚Entschuldige‘, als stellten die wenigen Sekunden, die ich wartend dort gelegen hatte, ein minderschweres Unrecht seinerseits dar.

Als es vorbei war, lag ich zitternd auf dem Rücken.“

Frances, eine junge Lyrikerin, die später in der Geschichte eine erfolgversprechende Kurzgeschichte publiziert, kann nicht in klare Worte fassen, was ihr Verlangen ausmacht. Sie kann Nick nur bitten, das zu tun, was Nick eben tun muss, weil sie ja schließlich vor ihm mit gespreizten Beinen liegt und wortwörtlich darum bettelt, flachgelegt zu werden. Nick entspricht übrigens keinem männlichen Stereotyp; auch wenn er sehr gut aussieht, erscheint er meistens als Waschlappen, der sich herumschubsen lässt. Ob seine Entschuldigung wirklich aus Aufmerksamkeit für seine Affäre heraus gesprochen ist oder nicht doch eher sein Versagen kaschieren soll – was auch immer er als Versagen in dieser Situation empfinden mag –, ist in dieser Situation nachrangig.

Nick ist Schauspieler, nicht unbedingt die crème de la crème, aber immerhin ein mittelprächtig erfolgreicher in einem großen Haus. Gelinde gesagt hat es mich beim Lesen überrascht, dass sich die Wortkünstlerin und der Rollenwechsler wie zwei jungfräuliche Teenager beschnuppern und keiner ein Wort über seine wahren Gelüste herausbringt. Hat die 68er-Generation wirklich für unsere sexuelle Freiheit gekämpft, nur damit wir uns heute wieder verschämt unter der Bettdecke verstecken und keine schmutzigen Wörter mehr in den Mund nehmen? Nun gut, das erste Mal, von dem wir hier lesen, ist in vielen Fällen nicht das beste und die 19-jährige Frances hat ja tatsächlich noch keine Erfahrung mit Männern. Und doch komme ich nicht umhin es peinlich zu finden, dass selbst im geschriebenen Wort der Akt immer noch derart tabuisiert wird. Auch an späterer Stelle spricht man nicht von Doggystyle oder anderen Stellungen, stattdessen begibt Frances sich auf alle Viere oder stellt andere Verrenkungen an, die die Fleischeslust in sittsame Worte kleiden. Dabei kann Rooney doch Tabus durchbrechen, wie sie es an anderen Stellen in Gespräche mit Freunden zeigt: Frances durchlebt nämlich das Anfangsstadium einer Endometriose-Erkrankung, die sie mit regelmäßigen Krämpfen quält und ihren Alltag nachhaltig einschränkt.

Die Wohlstandskommunisten

Was bleibt von diesem Buch? Natürlich geht es nicht nur um Sex in diesem Buch – und doch gibt es eigentlich nicht viel mehr zu erzählen. Die Hauptfiguren, allesamt aus gutem Hause, sind natürlich samt und sonders Kommunisten – bzw. Marxisten, denn so genau muss man doch seine Kommunistentheorie kennen! Dass sie sich trotzdem in teure Klamotten kleiden und ihre Zeit in luxuriösen Anwesen verbringen, bringt die Figuren selbst in Zwiespalt, denn wie kann man ‚moralisch richtig‘ argumentieren, aber konträr handeln? Nun ja, so viel Realismus sei den Figuren zugestanden, denn auch unsereiner predigt manches Mal gern Wasser und schenkt sich zeitgleich den nicht mehr ganz so reinen Wein ein. Aber Kommunismus, wirklich? Sollten wir nicht langsam erkannt haben, dass diese Regierungsform nicht funktioniert und ähnlich totalitär in Erscheinung tritt wie der Faschismus? Selbst hanebüchen überzeichnete Figuren wie die in Rooneys Roman sollten dieses Zeichen der Zeit erkannt haben. Ansonsten unterhalten sie sich über Kunst und politische Theorie, häufig geht es aber einfach nur um ihre Mitmenschen. Wer mag wen, wer mag wen nicht – und warum ist es so schwer, verliebt zu sein?

Frances wird aus ihrem Wohlfühlleben zwischenzeitlich doch herausgerissen. Sie lebt als Studentin in einer Wohnung, in der sie nicht einmal Miete zahlen muss – nein, sie lebt nicht mit ihren Eltern, sondern mit ihrer Ex-Freundin zusammen! Frances’ Vater ist alkoholkrank und er zahlt ihr nicht das Geld, auf das sie angewiesen ist. Ihrer Mutter, zu der Frances eine weitestgehend liebevolle Beziehung hegt, erzählt sie – nichts. Dabei unterstützt die Mutter sie im Falle der Endometriose-Erkrankung. Der Ex-Freundin und Mitbewohnerin aus reichem Hause, die sie ebenfalls finanziell aushalten könnte, erzählt sie – nichts. Dabei sind sie eigentlich beste Freunde. Ihrem Loverboy und mittelprächtig erfolgreichen Schauspielerfreund Nick erzählt sie zunächst – nichts. Dabei wäre er dann wenigstens endlich mal zu etwas gut, bin ich fast verleitet zu schreiben. Auch hier begegnen wir einer Scham, die wir tunlichst vermeiden sollten. Reden hilft in vielen Situationen unseres Alltags. Die richtigen Worte zu finden ist nicht immer einfach, wie wir an Gespräche mit Freunden sehen. Frances und Mrs. Rooney, Sie haben ein Kommunikationsproblem.

Sally Rooney: Gespräche mit Freunden. Aus dem Englischen von Zoë Beck
Luchterhand Verlag, 384 Seiten
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3-630-87541-5

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