Der talentierte Herr Gwisdek

Robert Gwisdek: Der unsichtbare Apfel (Quelle: Kiepenheuer und Witsch)Robert Gwisdek kannte man als Schauspieler, bevor er sich in den letzten zwei Jahren als Kopf der HipHop-Band Käptn Peng & die Tentakel von Delphi mit philosophisch absurden Texten eine beachtliche Fangemeinde erspielte. Jetzt veröffentlichte er den Roman Der unsichtbare Apfel, den er am 12. April in der ausverkauften Zeche Carl in Essen vorstellte.

von LINA BRÜNIG

 

Robert Gwisdek ist ein Künstler, bei dem starker Formwille und der Drang zur Improvisation eine fruchtbare Verbindung eingehen. Daher überrascht es nicht, dass er lässig auf die Bühne geschlurft kommt und verkündet, er habe sich für die ersten zehn Minuten des Auftritts noch nichts überlegt. Also plaudert er erst mal locker mit dem Publikum, wirft eine Banane in den Zuschauerraum und greift schließlich zur Gitarre, um die Songs Sein Name sei Peng und Kündigung 2.0 vorzutragen. Spätestens danach ist klar: Es ist fast egal, was er auf der Bühne anstellt, die Leute lieben es.

Nach den musikalischen Appetizern leitet er zum Hauptteil des Abends über, schließlich ist er ja gekommen, um seinen Roman zu präsentieren: „Ich hoffe, das ist allen klar, manche kommen und denken, es sei ein Konzert und wundern sich, wo das Konfetti bleibt.“ Nach dem Vortrag einer ersten Textstelle räumt er ein, dass die Handlung etwas unübersichtlich sei und skizziert die Romanstruktur auf einer Tafel – was zwar nicht gerade zur Erhellung, so aber doch zur allgemeinen Erheiterung beiträgt.

Der unsichtbare Apfel

Tatsächlich ist Der unsichtbare Apfel nicht leicht verdaulich – das liegt aber nicht etwa an mangelnder Qualität, sondern an Gwisdeks formaler Experimentierfreude. Er beginnt als „handelsüblicher Roman“ über einen sensiblen und etwas verschrobenen Jungen namens Igor, der mit einem selbstgebauten Neutralisierungskasten „schlecht gelaunte Objekte wie die Haarbürste seiner Mutter“ emotional entlädt und der sich in der Schule nicht konzentrieren kann. Als Erwachsener lebt er ein bescheidenes Leben und grübelt über die Unendlichkeit. Als seine Freundin Alma stirbt, gerät sein Dasein aus dem Gleichgewicht und er setzt einen alten Plan um: Er verbringt hundert Tage in einem stillen, dunklen Raum. Ab da entwickelt sich der Text zu einer Auslotung des Innenlebens der Hauptfigur, bei der Gwisdek Zeitebenen durcheinanderwirbelt und einer eigenen Logik folgt. Hier heißt es langen Atem zeigen. Wer sich durch die folgenden hundert Seiten beißt, in denen sich scheinbar sinnlose Szenen aneinander reihen, wird im letzten Drittel mit einer märchenartigen Geschichte belohnt, die das vorherige Chaos ordnet. Man folgt Igor weiter auf dem Weg durch seine Innenwelt, den Gwisdek von da an als fast klassische Heldenreise erzählt: Der Protagonist muss in einem unendlich scheinenden Gebäude, das von einem König beherrscht wird, Gegner bekämpfen, Rätsel lösen und am Ende zu sich selbst finden.

Roman über Wahrnehmung

Aber hinter der Entwicklungsgeschichte der Hauptfigur verbirgt sich mehr als nur eine nette Geschichte. Tatsächlich reflektiert Gwisdek hier die Frage, inwiefern man die eigene Wahrnehmung und das Bewusstsein überhaupt begreifen kann. Igor legt zuerst eine gewisse Hybris an den Tag, indem er die Welt persönlich auffordert, sich ihm zu offenbaren und keinem Geringeren als dem Universum eine Zusammenarbeit anbietet. Beim Wandern durch das Gebäude muss er dann erfahren, dass nicht alles sortier- und durchschaubar ist – schon gar nicht die eigene Psyche. Gwisdek gelingt hier eine durchdachte, anspruchsvolle Parabel.

Crossmedial

Dass auf der Eintrittskarte des Abends „Lesung, Musik, Filme“ steht, ist schon ein Hinweis darauf, dass sich Gwisdek nicht auf ein Medium beschränkt. So ist es nicht verwunderlich, dass bei der Lektüre von Der unsichtbare Apfel zum einen Assoziationen mit Texten von Kafka oder auch Michael Ende wach werden, dass aber auch Filme wie Pans Labyrinth, Inception oder Donnie Darko nicht fern liegen was Erzählstruktur und das Spiel mit der Wahrnehmung von Realität(en) betrifft.

Pengs Poetik: Kreise, Paradoxa, Wald

Auf der Motivebene des Romans zeigt sich schließlich, dass man den Musiker Käptn Peng nicht unbedingt vom Autor Gwisdek trennen kann. In seinen Liedtexten hat er bereits eine Art Poetik entwickelt, die sich auch in seinem Romandebüt findet. Unübersehbar ist seine Vorliebe für Kreise: Immer wieder taucht die geometrische Form in seinen Texten und Videos auf. Auch in Der unsichtbare Apfel spielen Kreise eine wichtige Rolle. Igor wird von einem in der Luft rotierenden Kreis zunächst angegriffen, kann ihn aber in einem komplizierten Prozess zähmen und sich an seiner ruhigen Kraft erfreuen. Auch der Wald und seine Bewohner sind Motive, die regelmäßig auftauchen. Im Roman übernimmt ein freundlicher Kleiber die Rolle des Führers durch das Gedankengebäude und Igor lässt einen Wald zu Asche zerfallen. Das Ineinandergreifen von musikalischem und erzählerischem Werk passt zur holistischen Auffassung, die der Roman offenbart.

Nach der Lesung zeigt Gwisdek den Kurzfilm Circuit, in dem er eine Nebenfigur des Romans in einer ausweglosen Situation spielt. Die Mischung aus kafkaeskem Albtraum und Slapstick kommt gut an. Dann will er den Abend mit weiterer Musik beschließen, „wenn ihr Lust habt.“ Mithilfe einer Loopstation bastelt er aus Gitarrenspiel, Beatbox und dem Schnarren eines Teppichmessers die Beats. Auf seinen bekanntesten Song Sie mögen sich, den er auf der Gitarre begleitet, haben viele schon gewartet. Nach insgesamt zweieinhalb Stunden und einer Zugabe endet der Abend mit stehenden Ovationen. Und der sonst so abgeklärt wirkende Robert Gwisdek bekommt feuchte Augen.

 

Robert Gwisdek: Der unsichtbare Apfel
Kiepenheuer und Witsch, 358 Seiten
Preis: 12,99 €
ISBN: 978-3-462-04641-0

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