Hey Billy, what’s your cure for pain?

Christiaan Tonnis ~ William S. Burroughs 3 / Oil on Canvas / 61 x 72.8 inches / 1999 Quelle: WikimediaProvokant, kriminell, abartig, genial? Von William S. Burroughs kann man halten, was man will. Doch dass er sowohl in literarischer und künstlerischer, als auch in gesellschaftlicher Hinsicht ein Pionier war, steht außer Frage. Zum 100. Geburtstag des vielseitigsten Vertreters der Beat-Generation.

von ESRA CANPALAT

Als William S. Burroughs in den 1940er Jahren die Menschen kennenlernte, die später zusammen mit ihm als die Vorreiter der Beat-Generation gefeiert wurden, hatte er bereits so viel erlebt, dass er seitenweise darüber hätte schreiben können. Nach einer für ihn grauenhaften Zeit auf der Los Alamos Ranch School, New Mexico, in der er schon früh aufgrund seines absonderlichen Verhaltens auffiel, besuchte der aus einer wohlhabenden Familie stammende Burroughs 1932 die Harvard Universität. Nach seinem Abschluss 1936 reiste er nach Europa, gab sich in Wien seinen homosexuellen Neigungen hin und rettete mal eben durch eine Heirat die Jüdin Ilse Krabbe vor den Nazis. Krabbe konnte nun nach New York emigrieren, wo sie sich sofort von Burroughs scheiden ließ. Zurück in den Staaten studierte er in Harvard und Cambridge weiter, versuchte sich 1942 in die Armee einzuschreiben, entschied sich jedoch enttäuscht um, da man ihn als Infanteristen und nicht wie erhofft als Offizier klassifizierte. Daraufhin arbeitete er als Kammerjäger in Chicago und zog dann mit seinen Freunden Lucien Carr und David Kammerer weiter nach New York. Über Carr, der an der Columbia Universität studierte, lernte er Allen Ginsberg und Jack Kerouac kennen.

So entstand das berühmte Dreiergespann Kerouac-Ginsberg-Burroughs. Während Ginsberg und Co. in ihrem Bestreben nach einem unkonventionellen, nonkonformistischen und rauschhaften Leben aber noch in den Kinderschuhen steckten, hatte Burroughs längst diese Erfahrungen in ihrer extremsten Form gemacht: Er war schon früh abhängig von Substanzen, von denen selbst seine drogenaffinen Freunde ehrfürchtig die Hände ließen, schlug sich als Junkie und Gelegenheitskrimineller durch New York. Bereits in seiner Jugend und in der Collegezeit hatte er einiges zu Papier gebracht, doch erst durch die Ermunterung Kerouacs widmete er sich gezielt dem Schreiben. Zusammen verfassten sie den bei Verlagen nicht besonders Anklang findenden Roman And The Hippos Were Boiled In Their Tanks (1945). Der auf Tatsachen basierende Roman thematisiert den von Carr verübten Mord an Kammerer; eine Geschichte, die jüngst im Film Kill Your Darlings thematisiert wurde. Seine Erlebnisse als Drogenabhängiger hielt er in Junkie fest. Doch letztlich war es ein anderes tragisches Ereignis, das Burroughs zum Autor werden ließ.

Der Versuch des Sich-Herausschreibens

Burroughs soll einmal gesagt haben, dass er ohne den Tod Joan Vollmers nie zum Schriftsteller geworden wäre. Obwohl Vollmer wusste, dass Burroughs homosexuell war, heiratete sie ihn 1946 und litt fortan an seinen Affären mit anderen Männern. Die Drogenabhängigkeit beider wurde ihnen am 09. September 1951 zum Verhängnis: Beim Nachstellen der berühmten Apfelschuss-Szene aus der Wilhelm-Tell-Geschichte verfehlte Burroughs mit seiner Waffe das auf dem Kopf Vollmers platzierte Glas und verwundete sie tödlich. Burroughs war am Boden zerstört. In Queer konstatierte er: „I live with the constant threat of possession, and a constant need to escape from possession, from control. So the death of Joan brought me in contact with the invader, the Ugly Spirit, and maneuvered me into a life long struggle, in which I have had no choice except to write my way out.“ Als Ergebnis des Versuchs, sich aus dieser lebenslangen Misere heraus zu schreiben, gilt unter anderem der wohl bekannteste seiner Romane, Naked Lunch, den er ab 1954 vier Jahre lang in Tangier verfasste. Während seine ersten Werke Junkie und Queer stilistisch herkömmlich wirkten, überzeugte Naked Lunch neben seiner abstrusen Thematik (die ihm eine Anklage wegen Obszönität einbrachte) vor allem durch seine non-lineare Erzählweise. Burroughs wurde wesentlich von der Cut-up Technik seines Künstlerfreundes Brion Gysin beeinflusst. Hierbei handelt es sich um eine durch Zufall generierte Montage eines Textes. Fortan schrieb er seine Romane in dieser von den Dadaisten adaptierten Form des Spiels mit Texten. Es folgten weitere Romane in diesem Stil, wie die Nova-Trilogie, bestehend aus den Romanen The Soft Machine, Nova Express und The Ticket That Exploded.

Doch nicht nur literarisch leistete Burroughs Pionierarbeit. Durch seinen offenen Umgang mit seiner Homosexualität ebnete er, wie zuvor André Gide und Jean Genet, den Weg für die Toleranz gleichgeschlechtlicher Liebe. Seine anarchistisch anmutende Lebensweise, seine Kritik am Establishment und sein Interesse für die abwegigen und finsteren Seiten des Menschen führten zu seiner Krönung als „Godfather of Punk“. Patti Smith wurde eine langjährige Freundin, Kathy Acker orientierte sich mit ihrer aus Plagiaten zusammengeklaubten Punkprosa an ihm und zahlreiche Bands benannten sich nach seinen beachtenswerten Wortneuschöpfungen: Soft Machine, Steely Dan, The Mugwumps. Sonic Youth widmeten ihm mit NYC, Ghosts and Flowers ein komplettes Album. Vor allem die Glorifizierung von Drogen in Burroughs Werk war es, die zahlreiche Musiker faszinierten und zur Nachahmung animierten. Burroughs Werk ist aber viel mehr als eine stumpfsinnige Ästhetisierung von Rauschmitteln, denn er zeigt ganz deutlich, welche fatalen Folgen deren Konsum mit sich bringen kann.

Das natürlichste Schmerzmittel

Auch heute noch ist Burroughs Inspiration und Referenzpunkt für viele Künstler. Erst kürzlich widmete ihm die Band Chelsea Light Moving ein Lied, indem der Ex-Sonic Youth-Gitarrist Thurston Moore mit schnoddriger Stimme fragt: „Hey Billy, what’s your cure for pain?“ Man würde als Antwort Burroughs’ natürlich ‚Drogen‘ annehmen. Doch der letzte Satz, den er vor seinem Tod im August 1997 schrieb, war: „Love? What is it? Most natural pain killer that there is. Love.“ Für viele seiner Zeitgenossen war dieser Satz verwunderlich und erfreulich zugleich, denn Burroughs kamen zeitlebens selten direkte Liebesbekundungen über die Lippen, aus Angst verwundbar zu sein. Im Dokumentarfilm A Man Within von Yony Leyser wird ein Interview gezeigt, indem Ginsberg ihn offen fragt, ob er ihn eigentlich früher sexuell ansprechend fand. Burroughs verneint sofort, obwohl er eine Zeit lang in Ginsberg verliebt gewesen sein soll. Umso schöner, dass der bei vielen als kalter und rücksichtsloser Waffenfanatiker verschriene Autor es schaffte, der Nachwelt eine solch schöne und herzliche Botschaft zu hinterlassen. Doch Burroughs bleibt den meisten als subversiver und kritischer Autor in Erinnerung. Es ist davon auszugehen, dass er in Zukunft auch weiterhin eine Inspirationsquelle für all diejenigen sein wird, die sich dem Anderssein verschrieben haben, ganz gleich, ob dieses Gefühl aus jugendlicher Rebellion oder aus einem kritischen, erwachsenen Blick auf die Welt heraus entsteht.

5 Gedanken zu „Hey Billy, what’s your cure for pain?

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