Throwback Thursday: Cocktail gefällig?

Philip Greene: A Drinkable Feast; Tarcher Perigee

Paris in den 1920ern: Die Avantgarde lebt hier, arbeitet, feiert – und trinkt. Philip Greene entführt den Leser mit seinem 2018 erschienen A Drinkable Feast: A Cocktail Companion to 1920s Paris in die Goldenen Zwanziger. Wer den Geistern von Hemingway, Joyce, Stein und Co. hinterherjagen möchte, wird hier ganz bestimmt fündig – und auch jeder Neuling kommt ganz sicher auf den Geschmack.

von THOMAS STÖCK
Der Nabel der Welt – so könnte man Paris vor 100 Jahren aus künstlerischer Sicht wohl charakterisieren. Wie viele Künstler fanden sich auf den Straßen, in den Cafés oder bei Soiréen zusammen? Eine der wohl bekanntesten Rückblicke auf diese Periode stellt Ernest Hemingways A Moveable Feast (dt.: Ein Fest fürs Leben) dar, in dem er nochmals die Zeiten mit Gertrude Stein und Sylvia Beach, Scott Fitzgerald und Ezra Pound durchlebt. „Une génération perdue“, eine verlorene Generation seien die jungen, aus den USA in die französische Hauptstadt strömenden Männer, urteilt Stein über Hemingway und seine Künstlerkollegen. Warum machten sich so viele dieser Lost Generation auf nach Frankreich – „why Paris?“ Diese Frage stellt sich auch Philip Greene in seinem namentlich an Hemingway orientierten Cocktail Companion to 1920s Paris, den er A Drinkable Feast getauft hat.

Es kommt nicht von ungefähr, dass Greene durch einen Cocktailratgeber den Pariser Lebensstil nachzeichnen kann, handelt es sich doch um die „social drug of choice“ der damaligen Zeit. In Amerika trafen die Kriegsrückkehrer auf die Prohibition und einen allgegenwärtigen Puritanismus. Freiheit von den Restriktionen versprach dagegen Paris – gleichfalls versprach die Stadt eine Befreiung von der Rassentrennung und dem klassischen Rollenbild der Frau. Hier konnten sie sich alle frei bewegen, alternative Lebensmodelle ausleben (bspw. Stein und ihre Lebensgefährtin Alice B. Toklas) und wurden als Gleichgestellte respektiert. Ob James Joyces Ulysses schon damals publiziert worden wäre, hätte Sylvia Beach nicht das Heft des Handelns als Herausgeberin in die Hand genommen? Und wie hätte sich der Jazz entwickelt, hätten nicht die zahllosen bars américains den vielen schwarzen Künstlern eine Plattform geboten? Paris bedeutete damals ein Zusammenkommen von Unterschieden, was sich auch auf der Ebene der sozialen Schichten niederschlug: In Cafés und Bars traf man auf die Haute Couture und den einfachen Arbeiter: sie alle speisten zu erschwinglichen Preisen und tranken – Cocktails.

„L’Epoque du Coquetèle“

Nach einem solchen kurzen Abriss der soziokulturellen Hintergründe, zu denen sich übrigens auch Ernest Hemingways Enkel John im Vorwort äußert, begibt sich Greene auf die Spurensuche nach der „Epoque du Coquetèle“, dem Zeitalter des Cocktails. Der Aufbau erinnert an ein Lexikon, bei dem das jeweilige Rezept den Zusammenhängen von Alkohol und Kulturleben und einer „Tasting Note“ vorangestellt ist. Zur Orientierung gereichen sowohl das Inhaltsverzeichnis (sortiert nach Drinks) und der Index, in dem zusätzlich einzelne Komponenten, aber auch die Künstlerszene und ihre Auskünfte zum eigenen Alkoholkonsum verzeichnet sind. Denn um Cocktails geht es hier zwar auch, A Drinkable Feast stellt jedoch ebenso einen Konnex zwischen Literatur und Getränken her. So kommt es auch, dass die Beiträge aufgebrochen sind durch historische Darstellungen, wie ein bestimmter Alkohol in Mode gekommen ist; durch Anekdoten von wilden Partys wie der „Murphy Soirée“, bei der John Dos Passos noch Jahre später betrauerte, dass er diese Feierlichkeit ausließ; durch Textpassagen, in denen das jeweilige Getränk auch den fiktionalen Charakteren die trockene Kehle benetzt. Auch wird – passend zu unseren Zeiten – von der Quarantäne von Hemingways Sohn Bumby erzählt. Dank Fitzgerald konnte die Familie Hemingway diese Zeit in dessen Villa verbringen, in der sie sich zusammen mit ihren Gastgebern regelmäßig eine „happy hour“ gönnten – „at a respectable distance“, versteht sich. Social Distancing ist augenscheinlich ein zeitloses Phänomen.

Leichte Kost ist dieses Buch, was nicht zuletzt an Greenes überaus zugänglichem Tonfall liegt. Mit Humor bekrittelt er seine eigene Expertise: „I’m probably no different from any other English major (ahem, English minor) who was introduced to the Lost Generation and captivated by the magic of the era.“ Dabei stellt er sein Licht ein wenig unter den Scheffel, im Cocktail-Metier ist Greene immerhin kein unbeschriebenes Blatt. Schließlich ist er Mitbegründer des Museum of the American Cocktail in New Orleans und Verfasser einer Kolumne bei The Daily Beast. Daneben hat er auch schon zwei Bücher veröffentlicht, die thematisch sicherlich eine gute Ergänzung zum vorliegenden Band bilden: The Manhattan: The Story of the First Modern Cocktail with Recipes und daneben To Have and Have Another: A Hemingway Cocktail Companion. Für A Drinkable Feast erhielt Greene übrigens den 13th Annual Spirited Award für das „Best New Book on Drinks Culture, History or Spirits“.

In Maßen genießen

Besonders wohl bekommt einem dieser Ratgeber in Maßen, was natürlich hauptsächlich auf den dazugehörigen Alkoholkonsum abzielt. Sicher, eine trockene Lektüre kann genauso erfreuen, doch wirkt eine gleichzeitige Betrachtung (und anschließende Verköstigung) der Getränke auf die meisten Leser sicherlich noch um einiges attraktiver. Die zahlreichen Abbildungen präsentieren uns zwar das Pariser Nachtleben und die vielen zentralen Stätten des Austauschs, eine bildliche Vorstellung der dazugehörigen Drinks gehört jedoch nicht dazu. Dann muss man wohl selbst Hand anlegen… Immerhin sollte dies nicht allzu schwerfallen, handelt es sich doch bei einem Großteil der Rezepte um einfache Arbeiten – so benötigt man für einen „Absinthe (dripped)“ beispielsweise nur selbigen, ein Stück Würfelzucker und Eiswasser. Einziger Wermutstropfen für uns deutschsprachige Leser ist wohl, dass der Band noch nicht ins Deutsche übersetzt worden ist. Wer sich mit den amerikanischen Mengenangaben nicht auskennt, dem sei diese Umrechnungstabelle anempfohlen. Für eine geschmackliche Abstimmung auf die eigenen Präferenzen werden in der „Tasting Note“ übrigens hilfreiche Empfehlungen ausgesprochen, die besonders einsteigerfreundlich sind. Damit wir am Ende wie Christopher Struble über das Buch sagen können: „You’ve done it again Philip, I think I’ll have another!“

Philip Greene: A Drinkable Feast. A Cocktail Companion to 1920s Paris
TarcherPerigee Book, 288 Seiten
Preis: 9,99 Dollar
ISBN: 978-0143133018

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