Eine unerhörte Begebenheit

Maxim Biller - Im Kopf von Bruno Schulz   Cover: Kiepenheuer & WitschAn einem überraschend warmen Herbsttag im November 1938 ist ein Autor mit dem Abfassen eines Briefes beschäftigt, so der Beginn eines starken Stücks Literatur, eines Konzentrats und einer manchmal fast unerträglichen Groteske: Maxim Biller lässt den polnischen Schriftsteller und Maler Bruno Schulz in seiner Novelle Im Kopf von Bruno Schulz von – zugegeben – nicht nur einer unerhörten Begebenheit berichten.

von NADINE HEMGESBERG

„‚Sehr verehrter, hochgeschätzter, lieber Herr Thomas Mann […]‘, schreibt ein kleiner, dünner ernster Mann langsam und vorsichtig in sein Notizbuch“. Der kleine Mann, der an seinem Schreibtisch in dem Kellerzimmer mit dem verschmutzten Oberlicht in der Florianskastraße sitzt, setzt erneut an: „Sehr geehrter Herr!“ Und erst beim dritten, hastig und ohne jegliches Nachdenken verfassten Anlauf will Bruno Schulz die Begrüßungsformel an den Deutschen, an den Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Thomas Mann gelingen: „Lieber Dr. Thomas Mann!“. In dem galizischen Dörfchen Drohobycz, seiner Heimat, trügen sich seltsame Dinge zu, so Schulz’ Eindruck: Ein Mann gibt sich als Thomas Mann aus und treibt sein Unwesen, wird hofiert und keinesfalls missgünstig beäugt von den Bürgern der Stadt, Schulz hingegen befindet, ein Spion der Nazis könne er gar sein. Das Schreiben des Briefes besänftigt Schulz’ Angst, das unerträgliche Gefühl, etwas Schreckliches könne geschehen, eine Angst, die so präsent wie schemenhaft ist.

Angst und Vorausdeutungen

Nur kurze Zeit ist die Angst gebändigt, „das Schlagen und Rauschen riesiger Archaeopteryxflügel“ eingedämmt und die Wirklichkeit, wenn auch grotesk, strukturiert und einer vermeintlichen Ordnung unterworfen, die sich die Figur Schulz hier für den Schrecken der Wirklichkeit erschreibt. „Sie [Hania] streichelte seinen [Schulz] Kopf und flüsterte, beim nächsten Krieg würde nicht bloß ihr Haus brennen, das sei so sicher wie die Zerstörung des zweiten Tempels, und sie hoffte, es bleibe von ihr und ihm und den Kindern und Jankel mehr übrig als ein bisschen Asche und das, was Bruno über sie in seinen beiden Büchern geschrieben habe.“ Die Vorausdeutungen und Vorahnungen sind dicht an dicht, wie auch Billers gesamte Novelle kondensiert wirkt. Es entsteht ein Kondensat mit lauter Anspielungen nicht nur auf Bruno Schulz’ Erzählungen Zimtläden von 1933. Zwischen all den skurrilen Sequenzen und Elementen findet sich die Figur Schulz schließlich in einem Waschraum mit lauter nackten Menschen wieder. Der falsche Thomas Mann schwingt in sadistischer Amon-Göth-Manier die Reitpeitsche – eine ebenso verstörende wie perverse, auf die nicht ausbuchstabierbaren Gewaltexzesse des Holocausts rekurrierende Szene.

Zwischen jüdischer Erzähltradition und Imagination

Maxim Biller imaginiert in der Novelle Im Kopf von Bruno Schulz eben jenen möglichen – wenn auch an mancher Stelle arg fantastisch und zuweilen grotesk anmutenden – Beginn einer Korrespondenz zwischen dem Schriftsteller und Zeichner und Thomas Mann. Eine Korrespondenz, die es so tatsächlich zwischen den real-existenten Dichtern gegeben haben soll – die Schriftzeugnisse, samt einer beigelegten Erzählung von Schulz, gelten jedoch bis heute als verschollen. Die Überschaubarkeit des Werkes von Bruno Schulz ist dem Umstand geschuldet, dass ihm seine geplante Flucht aus dem Drohobyczer Ghetto nicht mehr gelingen wollte: Im November 1942 wurde er auf offener Straße von einem Mann der Gestapo erschossen.

Diese Bruchstücke dienen Maxim Biller hier als Fundus, als Inspirationsquelle und auch als Möglichkeit der Hommage. Von einem Kaddisch, ein jüdisches Gebet, das das Bitten um die Heiligung und das Kommen der Königherrschaft Gottes umfasst (als ungefähres Äquivalent kann man das christliche Vaterunser auffassen), lässt sich hier aber nur bedingt sprechen. Wohl aber kann man hier von einer bewussten literarisch-analogen Einschreibung in eine tradierte jüdische Erzähl- und Auslegungstradition ausgehen. Auch wenn sich diese Auslegungsarbeit auf eine Gemengelage von vorliegenden intertextuellen Versatzstücken aus Schulz’ literarischem Werk und dem hinzufingierten Erzählanlass eines Briefwechsels stützt.

Nicht nur ein Appell zur Schulz-Exegese

Und eben diese verdichtete Erzählung von Biller ist nicht nur ein prägnant gesetztes Ausrufezeichen zur Schulz-Exegese, sondern ebenfalls eine ausgesprochene Empfehlung (die in den meisten Besprechungen der Novelle Im Kopf von Bruno Schulz zu kurz gekommen ist) für den grandiosen Erzähler Maxim Biller. Denn dieser erzählt hier in einem Paradebeispiel der Gattung Novelle – angesichts der gegenwärtigen Romanflut und dem fast mottenkistenhaften Ruf der vor allem im Realismus bemühten Gattung – von nicht nur einer gattungstechnisch üblichen unerhörten Begebenheit, sondern auch mit beeindruckender Sprachkunst.

Maxim Biller: Im Kopf von Bruno Schulz
Kiepenheuer & Witsch, 80 Seiten
Preis: 16,99 Euro
ISBN: 978-3-462-04605-2

2 Gedanken zu „Eine unerhörte Begebenheit

  1. Ich habe das Buch als Anlass genommen, zunächst „Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen“ zu lesen.
    Ich kann nur sagen: „Lest Bruno Schulz!“
    Mir ist noch kein Autor untergekommen, der so sprachgewaltig ist.

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