Dante infernale

"Die göttliche Komödie" am Schauspiel Köln   Foto: Matthias HornPassend zum 750. Geburtstag Dante Alighieris inszeniert Sebastian Baumgarten Die göttliche Komödie am Schauspiel Köln. Sein Bestreben, die gesamte Commedia auf die Bühne zu bringen, scheitert jedoch an der Komplexität und Länge des Hauptwerks Dantes. Nach überstandenem Drogenrausch und Höllentrip verliert der Abend an Fantasie, als Zuschauer muss man aber keineswegs alle Hoffnung fahren lassen, einen unterhaltsamen Abend zu erleben.

von ANNIKA MEYER

Vor knapp 700 Jahren schrieb Dante, aus politischen Gründen aus seiner Heimatstadt Florenz verbannt und im Exil lebend, die Göttliche Komödie, die sein Hauptwerk und eines der wichtigsten und meist rezipierten Werke der Weltliteratur werden sollte. Der Protagonist Dante begibt sich, anfangs noch begleitet vom toten Dichter Vergil, auf die Reise durch die drei Jenseitsreiche – Hölle, Läuterungsberg und Paradies –, um am Ende seine früh verstorbene Liebe Beatrice und die Allmacht Gottes zu sehen. Dantes Epos ist dabei weit mehr als ein Roadtrip der Frühen Neuzeit; die Commedia – erst später von Boccaccio mit dem Beinamen Divina, Göttlich versehen – wurde zum Nationalepos des gespaltenen Italiens, setzte das florentinische Italienisch als Schriftsprache gegenüber dem damals gängigen Latein durch und behandelt sowohl die Schicksale antiker Helden als auch zeitgenössischer Personen Italiens um 1300, Kritik an Politikern und Kirchenmännern natürlich inklusive. Dass die Jenseitsreise einheitlich in Terzinen und Elfsilbern geschrieben wurde und neben einem Abriss über die Antike und europäische Zeitgeschichte auch philosophische Abhandlungen über die Liebe, menschliche Laster und göttliche Strafen beinhaltet, verdeutlicht noch einmal die Komplexität des 100 Gesänge langen Meisterwerks.

Berauschte Höllenfahrt

Doch nun raus aus Italien und ab nach Köln. Der dunkle Wald, in dem Dante sich zu Beginn der Göttlichen Komödie verirrt, ist einem zweistöckigen Gebäudekomplex mit Tiefgarage, verhüllten Fensterfronten und Metallrollladen gewichen (Bühne: Thilo Reuther), in dem Dante (Guido Lambrecht), frisch aus dem Krieg heimgekehrt und von Posttraumatischer Belastungsstörung gezeichnet, nach seiner Ehefrau Beatrice sucht. Doch diese ist inzwischen tot, und nach einem von den Hausbewohnern verhinderten Suizid wird der bewusstlose ehemalige Dichter und Soldat von seinen Rettern auf eine inszenierte Reise zu den Toten geschickt. Also gibt sich Vergil (Seán McDonagh) dem panischen Dante, der via Spritze in den Brustkorb wiederbelebt wurde, zu erkennen, indem er sich seine silberne Joggingjacke vom Leib reißt und darunter eine weiße Toga offenbart (Kostüme: Jana Findeklee und Joki Tewes). Und so beginnt die Fahrt mit dem Lift in die Unterwelt, deren Stationen mithilfe von verschiedenen Projektionen und kreativ-tristen Videos (Video: Stefan Bischoff) an der Häuserfassade verdeutlicht werden. Bei jedem Abstieg in einen tieferen Höllenkreis erhält Dante seine Drogenration, auch, um ihn davon abzulenken, dass der infernale Trip nur fingiert ist, wie er anhand von schlechten Akzenten und Kunstblut nach und nach erkennt. Immer wieder ertönen Maschinengewehrsalven und erinnern Dante und uns daran, dass außerhalb der Hölle ein wirklicher Krieg herrscht. Dante begegnet ausgewählten, modernisierten Mitgliedern des Höllenpersonals – das berühmte Liebespaar Paolo und Francesca da Rimini wurde auf der Flucht vor Francescas Ehemann bzw. Paolos Bruder im Auto erschossen –, fühlt mal mit ihnen, (ver)zweifelt und redet sich selbst in Rage. Das komplexe Strafsystem der Divina Commedia, das Contrappasso, nach welchem jeder Sünder eine Strafe erleiden muss, die seinem Vergehen entspricht, wird dabei nur bedingt demonstriert. Vielmehr soll das Publikum amüsiert werden, indem z. B. die Sünder der Völlerei in Fatsuits und behängt mit Würstchenketten dem fragenden Dante nur Auskunft erteilen, indem sie Leckerlis in ihre stets gierigen Hälse geschmissen bekommen. Hier zerfleischt sie kein dreiköpfiger Zerberus mehr, doch wenigstens wälzen sie sich schmerzerfüllt im Schnee, der vor dem Gebäudekomplex immer wieder aufs Neue kunstvoll in das Bühnenspiel integriert wird.

"Die göttliche Komödie" am Schauspiel Köln   Foto: Matthias HornFarblose Läuterung

Nicht nur das Bestrafungsprinzip, auch Dantes Reaktionen auf manche Geschichten sind teilweise unmotiviert, sein höllischer Abstieg entbehrt zuletzt einer klaren Ordnung und Logik. Nachdem Dante und Vergil im neunten Kreis der dramatischen Geschichte Ugolinos gelauscht haben, der berichtet, wie er als Gefangener vor Hunger seine schon verstorbenen  Kinder aß, reagiert Guido Lambrechts Dante unnötig heftig, schießt – ganz in alter Soldatenmanier – auf den Frevler Ugolino, erkennt, als er der weiblichen Gestalt des Selbstmörders Pier della Vigna begegnet, das falsche (Schau)Spiel und kann nur durch eine weitere Wunderspritze beruhigt zu Satan gebracht werden, der dreiköpfig am Übergang der Hölle zum Läuterungsberg im Eis steckt. Die letzte Begegnung im ersten Jenseitsreich kommt ohne große Bühnenhandlung aus – Lambrecht schildert Dantes Eindruck von den drei Verrätern Judas, Brutus und Cassius, die von Luzifer bis in alle Ewigkeit zerkaut werden, sehr lebendig und in aller nötigen Drastik.

Nahm die Schilderung der Hölle voller bunter und extremer Bilder über 90 Minuten in Anspruch, wirkt die Darstellung der Reise auf den Läuterungsberg fast schon fantasielos und hektisch abgearbeitet. In einer Art öffentlichem Gottesdienst waschen die Büßer ihre Sünderhemden im Schnee wieder rein und geben exemplarisch, aber unpassend aufgewühlt ihre Laster, jedoch kaum den Weg ihrer Läuterung an. Sieben Mal wiederholt sich diese liturgische Prozession – sieben Todsünden gilt es zu büßen –, Vergil steht als stummer Betrachter am Rand, Dante scheint von allen Zweifeln befreit und betet mit den Büßern, stets beglückt ins gottesdienstliche Publikum schauend. So abrupt, wie das zweite Jenseitsreich durchschritten wurde, verlässt Vergil seinen Schützling ohne weitere Erklärung. Noch weniger ausführlich wird der Gang durchs Paradies abgehandelt: Dante ist trotz seines paradiesischen Aufenthaltsortes unverhältnismäßig weinerlich und durcheinander, Beatrice (Yvon Jansen) erscheint endlich und erklärt, er habe die Reise – auch stellvertretend für die Menschheit – machen müssen, um sich von seinen irdischen Vergehen zu befreien. Mit einer skurrilen Gesangs- und Klatscheinlage läutert Dante sich selbst, bevor er mit Beatrice und den nun nicht mehr getarnten Bewohnern in Gustav Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen einstimmt. Finale Kriegsgeräusche und Nachrichteneinspielungen lassen erahnen, dass das Paradies doch nicht erlangt wurde.

Zwischen Gegenwartskritik und Komplexitätsreduktion

Die gegenwärtige Jenseitsreise hätte funktionieren können: Anfangs sieht man Dante und Vergil noch vor arabischer Schrift und Maschinengewehren stehen, Dante im Soldatenkostüm mit Kreuzrittermuster präsentiert er einen abtrünnigen Gläubigen, der mit der modernen Gesellschaft und ihren Verfehlungen hadert. Doch die Rückführungen zur kriegerischen Gegenwart, von der aus er seinen Trip startet, enden am Läuterungsberg. Die Moralkritik am 21. Jahrhundert, die zuvor noch mit den Schlagwörtern „Syrien“, „Afghanistan“, „Kurdistan“ präsent war, verpufft an der zu laschen post-infernalen Bearbeitung durch Regisseur Baumgarten und Dramaturg Jens Groß. Zwar schaffen die beiden es, die gegenwärtige Sprache mit den Commedia-Übersetzungen von Lebrecht Bachenschwanz (1767–1769) und Philalethes (1849) harmonisch zu verbinden, doch Dantes philosophische Abhandlungen werden entweder zu schnell abgehandelt, um dem Zuschauer in ihrem Ausmaß verständlich zu werden, oder gar nicht weiter bedacht. Statt Dantes Hauptwerk auf zwar meist unterhaltsame, aber nicht stringente 135 Minuten zu kürzen, hätte uns ein episch-langer Abend mit konsequenterer Aussagekraft und stärkerem Bilderreichtum am Läuterungsberg und im Paradies den Theater-Olymp wohl ein Stückchen näher gebracht.

Informationen zum Stück 

 

Nächste Vorstellungen:
Donnerstag, der 16. April
Samstag, der 18. April
Dienstag, der 21. April

 

Ein Gedanke zu „Dante infernale

  1. Super Rezi! Sehr aufschlussreich! Danke. Das Stück scheint sich eher am Computerspiel „Dante’s Inferno“ zu entzünden denn am Originaltext. Auch in dem Spiel kehrt Dante vom Kreuzzug zurück und will dann Beatrice finden/retten. Das wird also demnächst Allgemeingut sein, Dante als Kreuzritter. Buhu.

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