Die komische Poesie des Dysfunktionalen

vorschlag:hammer - "Die Leiden der jungen Wörter" im Ringlokschuppen   Foto: Paula Reissig

vorschlag:hammer – „Die Leiden der jungen Wörter“ im Ringlokschuppen Foto: Paula Reissig

Der Ringlokschuppen zeigte am vergangenen Wochenende die wundersame Inszenierung von Die Leiden der jungen Wörter vom Kollektiv vorschlag:hammer. Sie begeisterte durch Feinfühligkeit, Witz und eine herausragende schauspielerische Leistung. Hindurch zieht sich die Frage, wie wir unsere Erfahrungen und intensivsten Gefühle auszudrücken vermögen. Über Licht und Schatten, Musik und Poesie schwebt vor allem die Unzulänglichkeit von Sprache. Was mit Theater geschieht, wenn die Unmöglichkeit wahrhaftiger Kommunikation verinnerlicht und schließlich erfasst wird, zeigt das Kollektiv mit ihrer Interpretation von Johann Wolfgang von Goethes berühmtem Briefroman Die Leiden des jungen Werther.

von SILVANA MAMMONE

Die Werther-Gang (Kristofer Gudmundsson, Frieder Hepting, Gesine Hohmann, Stephan Stock) steht am Mischpult und blickt mit vier Paar großen Augen ins Publikum. Es liegt ein verschmitztes Lächeln auf ihren Lippen, als wüssten sie etwas, das dem Publikum verborgen ist. Wie Kinder, die aus ihren Kleidern gewachsen sind, tragen sie durchweg Kostüme, die ihnen vermutlich ihre kleinen, schrumpeligen Omis sorgsam gestrickt und genäht haben. Kaum hat der Abend begonnen, geht das Licht auch schon wieder aus und öffnet den Raum für eine sphärische, mitreißende Licht-Musik-Komposition. Vom ersten Moment bewegt sich die Inszenierung langsam, bedacht und baut so auf eigentümliche Weise Spannung auf. Dies ist vor allem auch der Tatsache zu verdanken, dass die Schauspieler – ganz im Sinne des Briefe-Schreibens – stets direkt zum Publikum sprechen, selbst gespannt, das Erlebte zu erzählen.

Melancholie, Liebe, Depression, Selbstmord: So wenig komplex Werthers Geschichte ist, so dramatisch ist sie. Werther, ein sensibler junger Mann – fast noch ein Junge –, verliebt sich in die bereits verlobte Charlotte. Die beiden verbindet zwar eine tiefe Freundschaft, doch vermag dies nichts an den herrschenden Umständen zu ändern. Im Laufe der Handlung entwickelt Werther auch eine Beziehung zu Charlottes Verlobten Albert und zu dritt erleben sie viele glückliche Momente. Doch Werther wird zunehmend unglücklicher. Die Ausweglosigkeit der Situation erdrückt ihn, bis er sich schließlich das Leben nimmt.

Mir geht es gut

Ja, Werther geht es gut, zumindest noch im ersten Teil des Stücks. Im Dorf wird er gemocht, die Natur beflügelt ihn mit ihren Mückchen und Bäumchen, und dann ist da noch die Frau mit dem Tonkrüglein. Er liest auch besonders gern, vor allem Homer. Dass seine Glückseligkeit eher wie das poetische Gefasel eines Fünfjährigen klingt, trägt nicht gerade zum Verständnis seiner ernsten, tiefsinnigen Liebe zu Charlotte bei. Ist die Erzählweise auch detailliert und betont, eigentlich regt sie vor allem zu einem an: zum Lachen. Werthers unschuldiges, naives Erzählen wird durch viele kleine Patzer und holperige ‚Unzulänglichkeiten‘ in die Inszenierung transportiert. Mal lässt sich eine der zahlreichen von der Decke hängenden Glühbirnen nicht eindrehen, dann wird die falsche Musik eingespielt. Werthers letztendliches Unvermögen, das Gefühlte auszudrücken, zeigt sich inszenatorisch auch auf konkretere Weisen. Die Inszenierung arbeitet mit vielen, scheinbar unfertigen und fragmentarischen Erzählweisen. Die Glühbirnen als unfertige Lampen sowie auf dem Boden liegende Scheinwerfer, mit denen Schreibschrifttext und ausgeschnittene Herzchen an die Wand projiziert werden, erhellen im wahrsten Sinne des Wortes durchgehend die Inszenierung – wenn auch nicht Werther selbst. Handeln und Sprechen bilden das Fundament seiner Geschichte. Aber was ist mit seinem Denken und Fühlen? Somit steht auch immer die Frage im Raum, ob wir als Zuschauer durch die Oberfläche der Wörter dringen können, um diese zu ergründen und zu verstehen.

vorschlag:hammer - "Die Leiden der jungen Wörter" im Ringlokschuppen   Foto: Paula Reissig

vorschlag:hammer – „Die Leiden der jungen Wörter“ im Ringlokschuppen Foto: Paula Reissig

Mir geht es schlecht

Die Mückchen sind verflogen. Werther „geht es sehr schlecht“, und glücklicherweise kann man sich im Theater auch anders als durch bloße Worte ausdrücken – durch Aktion, Musik und Licht, die von vorschlag:hammer auch grandios genutzt werden, um zu zeigen, dass sie irgendwie auch nicht so wirklich funktionieren. So sehr man sich vor Lachen nicht mehr halten kann, so wenig Empathie kommt auf. Indessen ist Werther am Verzweifeln, wälzt sich in Dornenbüschen oder springt von Abhängen, beides eins zu eins und mit Gebrüll nachgespielt – so gut es eben geht. Theatralik ist schon etwas Schönes, aber diese reflektiert am Ende auch nur sich selbst. Doch es werden stets ruhige Momente geschaffen, welche die Komik zwar nicht aufbrechen, jedoch etwas vom Kern der Gefühle Werthers durchscheinen lassen: „Must it ever be thus, that the source of our happiness must also be the fountain of our misery?“ In Form eines Liedes, mal harmonisch, mal mit kleinen Stimmbrüchen gesungen, zieht sich diese Frage durch das Stück. Grundsätzlich werden Licht und Musik genutzt, um von Werthers Erzählungen von Bäumchen und Büchlein abzuweichen. Dabei entfaltet sich der Ansatz einer Möglichkeit, sich durch die Ausschöpfung nonverbaler Mittel besser oder zumindest anders auszudrücken. Anders ist zum Beispiel das kleine Drehpodest mit Handy drauf, das Musik abspielt, umrahmt von einem vertrockneten Zweig und wunderbar in Szene gesetzt durch ein wenig Nebel. Da kommt besinnliche Stimmung auf.

„Noch mehr Wörter könnt ich wohl nicht ertragen“

Es ist überaus bemerkenswert, wie das Kollektiv eine Balance schafft, die gleichzeitig ein Spannungsverhältnis darstellt. Es schafft selbstreflexives Theater mit einem Augenzwinkern. Die Leiden der jungen Wörter ist Erzählung, Analyse und am Ende eine Inszenierung, die sich selbst genügt, während sie im selben Moment infrage stellt, wie sie einen Ausdruck für die intensivsten, innigsten Gefühle eines Menschen findet. Durch die Darstellung dringt immer auch etwas Berührendes, was nicht zuletzt dem bloßen, kindlich anmutenden Versuch entspringt, sich mitzuteilen. Es scheint, dass es darum eigentlich geht, und entsprechend wünscht sich auch Werther schließlich alles andere als weise Worte oder Rat. Das Ende ist tatsächlich mal ein Höhepunkt, wenn Werthers Selbstmord im musikalisch schrägsten Klang ‚versungen‘ wird. Werther tot, die Darsteller lachend, Publikum am Boden liegend, gehen die Glühbirnchen aus.

Trailer zur Inszenierung
Informationen zum Kollektiv vorschlag:hammer
Nächste Vorstellungen:
19. und 20. Juni, Durchstarter Festival am Lot, Braunschweig
08. und 09. Juli, Theaterhaus Hildesheim

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