Gänzlich tartüffisiert

"Tartuffe" an den Wuppertaler Bühnen Foto: Klaus Lefebvre

„Tartuffe“ an den Wuppertaler Bühnen Foto: Klaus Lefebvre

Maik Priebe inszeniert erstmalig am Schauspiel Wuppertal. Ausgerechnet Molière – oder zum Glück? Seine zweistündige Tartuffe-Version bleibt erstaunlich dicht am Original, bietet aber durch virtuose Schauspielkunst in bunter Barockpracht einen keineswegs konventionellen, sondern Funken sprühend lebendigen Abend.

von HELGE KREISKÖTHER

Molière macht sich auf den deutschsprachigen Bühnen immer noch rar. Obwohl Werke wie Die Schule der Frauen, Der Menschenfeind, Der Geizige, Scapins Streiche oder Der eingebildete Kranke, um nur die wichtigsten zu nennen, den Komödien Shakespeares in nichts nachstehen, werden letztere doch weitaus häufiger dargeboten. Einigen ist Jean-Baptiste Poquelin (1622-1673), wie Molière gebürtig hieß, zu eindimensional, zu klischeehaft französisch. Solche Vorurteile mögen zum Teil am überaus schwierigen Übersetzungsunterfangen liegen – Molière schrieb im kunstvollen elf- bis zwölfsilbigen Paarreim-Alexandriner –, zum Teil aber womöglich auch daran, dass man jene öden Klassizisten, die in der französischen Theatergeschichte dasselbe Jahrhundert für sich beanspruchen, oftmals mit ihm über einen Kamm schert. Dabei gibt es bis heute kaum einen Komödienautor, der die Bloßstellung aberwitziger Neurosen und Phobien so lust- wie kunstvoll betreibt. Wie dem auch sei: Tartuffe ou limposteur (zu deutsch: Tartuffe oder der Betrüger) ist wie der Eingebildete Kranke unsterblich, ja sprichwörtlich geworden. Uraufgeführt wurde das Stück im Mai 1664, mitten in der Regierungszeit des „Sonnenkönigs“ also; die unverblümte Kritik am zeitgenössischen Heuchlertum von Adel und Klerus sorgte sogleich für mehrfache Zensuren. Worum geht es aber?
Tartuffe verschafft sich als – im wahrsten Sinne des Wortes – Scheinheiliger eine Anstellung im Haus des betuchten wie gutgläubigen Monsieur Orgon. Auch die Mutter des Letzteren erliegt seinem gewieften Charme, während alle übrigen schon längst begriffen haben, dass Tartuffe sie nach Belieben herumkommandiert und sich obendrein an Orgons Gemahlin, Elmire, ranmacht. Erst als er seine Maske ablegt und Orgons gesamte Familie zu verleumden droht, gelangt er zu Fall und wird selbst von der Polizei abgeführt. Nachzusehen ist all dies auch in Laurent Tirards 2007 erschienenem Film mit dem einfallsreichen Titel Molière.

Nichts von wegen Mantel-und-Degen-Tragödchen

Auf den ersten Blick scheint die Wuppertaler Inszenierung ein durch und durch gewöhnlicher, beinah historisch anmutender Abend zwischen gepuderten Perücken und Cembaloklängen zu werden. So besteht die schlichte Bühne (Susanne Maier-Staufen) aus einem quadratischen Holzaufbau über dem Orchestergraben des Opernhauses, im Hintergrund abgegrenzt durch einen Goldvorhang. Die Kostüme (ebenfalls Susanne Maier-Staufen) sind aber bereits weit mehr als eine bloße Huldigung des barocken Versailles-Zeitalters: Üppig und bunt zwar, jedoch an der Grenze zur Karikatur, machen sie die Darsteller zu einer wahrhaftigen Augenweide. Diese wiederum belegen, dass Molières Sprache, wie Priebe sagt, „zum Florett“ wird und noch immer ins Schwarze zu treffen vermag: Die Pointen sitzen, Vergleiche und (stereotype) Sinnsprüche prasseln nur so auf den Zuschauer ein. Nicht zuletzt ist dieses eloquente Entertainment der gereimten Übersetzung Wolfgang Wiens zu verdanken, welche noch leichtfüßiger daherkommt als etwa Monika Fahrenbach-Wachendorffs Übertragung ins Deutsche. Das größte, uneingeschränkte Lob gebührt jedoch dem angesprochenen Wuppertaler Ensemble, das gemeinsam mit drei Gästen nahezu vollständig im Tartuffe mitwirkt: Dank ihm vergeht der Abend trotz weniger „Effekte“ nicht wie eine zähe Belanglosigkeit, sondern vielmehr wie ein erfrischendes, durchaus tiefgründiges Gesellschaftsdivertimento. Besondere Hervorhebung verdienen Miko Greza als vergleichsweise bejahrter, aber umso dämonischerer Titelheld, Tinka Fürst als spitzzüngig-vorlaute Zofe Dorine im Bellatrix-Lestrange-Look und Julia Reznik als dümmlich-liebenswerte Mäuschentochter Mariane; auch Stefan Walz mimt den tartüffisiert-beschränkten Monsieur Orgon, das eigentliche Opfer des Stückes, mit größtmöglicher Authentizität. Der Wuppertaler Opernchor (Leitung: Jens Bingert) tut schließlich mit seinen Auftritten zu Beginn, zwischendurch und am prunkvollen Ende des Abends sein Übriges, indem er genial zusammengestellte Kompositionen von Lully, Rameau und Claude Goudimel (Dramaturgie: Susanne Abbrederis) ausgewogen zu Gehör bringt und somit das Bühnengeschehen musikalisch kommentiert. Der wohlwollende Szenenapplaus des Premierenpublikums findet somit seine volle Berechtigung.

"Tartuffe" an den Wuppertaler Bühnen Foto: Klaus Lefebvre

„Tartuffe“ an den Wuppertaler Bühnen Foto: Klaus Lefebvre

Ein Gemälde menschlicher Fehler

Protagonist Tartuffe ist jemand, dem zwar nicht unbedingt Sympathie, aber wohl uneingeschränkte Bewunderung gebührt – schließlich ist jeder in seinem Leben schon mindestens einmal einem raffinierten Hochstapler aufgesessen. Emporkömmlinge und Schwerenöter vermögen nicht nur Herzen zu brechen, sondern auch ganze Gesellschafts-, heute wohl eher Wirtschaftssysteme, ins Wanken bringen. So ist man nach dem Theaterabend verblüfft darüber, dass Molière mit seinem berühmtesten Schurken zahllose (literarische) Hochstapler wie den Gestiefelten Kater, Peer Gynt, Felix Krull oder den Hauptmann von Köpenick vorweggenommen hat. Miko Grezas Deutung lässt sogar Persönlichkeiten wie Tebartz-van Elst oder Silvio Berlusconi assoziieren. Interessant sind ferner allerdings auch Molières Frauen. Während Madame Pernelle (in Wuppertal: Anke Hartwig) an ihrer konservativen Weltsicht zu ersticken droht und das Vorgehen Tartuffes am längsten schönredet, sind die Zofe Dorine und Orgons Gattin Elmire beide auf ihre Weise außerordentlich stark und gebrauchen ihre Verstandeswaffen scharf und zielgerichtet. Dass Tartuffe nicht mit seiner Dreistigkeit davonkommt, ist dennoch einzig und allein dem allwissenden König – man möchte beinah von einem „Deus ex machina“ sprechen – zu verdanken. All das macht das Stück so geistreich wie kurzweilig. Die Wuppertaler Inszenierung ist letztlich ein gelungenes Plädoyer für den gewollten Kostümrausch und zeitlose Wortgefechte: Frei von (über-)realistischer, tagespolitischer Theaterkonkurrenz bekennt man sich hier zu gepuderter Spielfreude aus der Zeitmaschine. Überdies sendet Tartuffe ein deutliches Signal an die desolate Kulturpolitik der 350.000-Einwohner-Stadt: Lasst dieses Ensemble weiterhin seine fantastische Arbeit machen!

 

Informationen zur Inszenierung

 

Nächste Vorstellungen:
Mittwoch, der 13. April
Donnerstag, der 14. April
Freitag, der 20. Mai

 

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