Die Möglichkeit eines Theaters

Die Mšöglichkeit einer Insel am Theater Dortmund   Foto: Birgit HupfeldNils Voges inszeniert mit dem Künstlerkollektiv sputnic am Schauspiel Dortmund frei nach dem Roman Die Möglichkeit einer Insel von Michel Houellebecq einen live animierten Trickfilm und sprengt damit die Grenzen von Theater, Film und Performance. Nach dem live animierten Film Minority Report oder Mörder der Zukunft (Regie: Klaus Gehre) ein weiterer spektakulärer Technik-Clou auf der Dortmunder Bühne.

von NADINE HEMGESBERG

Erst kürzlich lobte SZ-Kritikerin Cornelia Fiedler Dortmunds Intendanten Kay Voges in einem Porträt: „Dass sich ein Theater derart intensiv und neugierig an die Erschließung neuer Räume zwischen Bretterbühne und Touchscreen macht, ist bundesweit einmalig […].“ (Süddeutsche Print, 18. März 2015) Ob Hamlet als Splitscreen-Reality-Soap, Minority Report oder Mörder der Zukunft als live animierter Film mit Entscheidungsmöglichkeit der Zuschauer via Smartphone-App, der irre Wiederholungs-Mashup-Reigen in [The Return of] Das goldene Zeitalter oder eben der live auf der Bühne entstehende Trickfilm Die Möglichkeit einer Insel; es sind alles Stücke, die ausloten, was im Theater räumlich, technisch und visuell machbar und zumutbar ist – nicht zufällig fällt auch beim „Prinzip Voges“ immer wieder der Begriff des Labors. Das Dortmunder Theaterlabor als Schnittstelle medialer Einflüsse, als Ort des Experimentierens, des Ausprobierens und Ausreizens.

Animation-Plates und die Möglichkeit der Technik

Auch Die Möglichkeit einer Insel vom sputnic-Kollektiv rund um Nils Voges entsteht im Sinne des Dogma 20_13 Manifests: Zu sehen ist immer auch der Prozess, wie der Trickfilm hergestellt, wie einzelne Elemente animiert werden. Vier SchauspielerInnen stehen in futuristischen Gewändern – Andreas Beck mit Bettina Lieder auf der linken, Frank Genser und Merle Wasmuth auf der rechten Seite der Bühne – an Tricktischen. Die Tischplatte ist durchsichtig und wird von unten von einem Beamer angestrahlt, dort können die Animation-Plates mit diversen Motiven aufgelegt und mit einer draufsichtigen Kamera herangezoomt und abgefilmt werden. Auf einer mittigen großen Leinwand werden die animierten Bilder gezeigt, via Button an ihrem Tricktisch können die Darsteller entscheiden, wann sie ihre Animation-Plate auf der großen Leinwand zeigen und so den Film live schneiden. Derlei noch nicht genug – die Schaulust wird hier aufs Höchste befriedigt, alleine die technische Apparatur muss immer wieder betrachtet, in den Blick genommen und auf die Funktionalität untersucht werden –, können in der Mitte der Bühne mehrere Kamerafahrten gesteuert werden. Mit einem fahrenden Dolly-Roboter können so verschiedene „Szenarien“ angesteuert werden: etwa ein Labor, ein umzublätterndes Buch, eine Leinwand zur Projektion von Dias oder das an Raumschiff Orion erinnernde Planetensystem. Das Konzept für die Umsetzung der Romanvorlage von Houellebecqs Die Möglichkeit einer Insel ist im höchsten Maße kreativ, wenn auch die Aufführung auf der Bühne einem strengen Muster folgt. Animationsplatten müssen in der richtigen Reihenfolge aufgelegt werden, Kameraeinstellungen vorgenommen und variiert werden, dabei ist jeder Handgriff auf vier weiteren Monitoren einsehbar, das „Wie“ also auch hier dem Zuschauer offengelegt. Und trotz dieses strengen Korsetts der Durchführung kommt das Schauspiel in keinster Weise zu kurz: Was Beck, Lieder, Genser und Wasmuth stimmlich in die Vertonung des Trickfilms legen, ist nuanciert und schafft trotz der Maschinenartigkeit der Bühne einen atmosphärischen Raum für die Geschichte der Houellebecqschen Figuren – den ziemlich ekelhaften und frauenfeindlichen Ur-Daniel und die Neomenschen Daniel24 und Daniel25, die 2000 Jahre später existieren.

Die Mšöglichkeit einer Insel am Theater Dortmund   Foto: Birgit HupfeldWas ist Glück, wenn man nicht mehr lachen kann?

Pointiert arbeitet Voges mit seinem Stück Houellebecqs Kernthemen heraus und stellt weitaus drastischer den satirischen Aspekt in Die Möglichkeiten einer Insel heraus. Was macht den Menschen zum Menschen? Ist die Perfektion nicht genau das, was einen Menschen gerade nicht ausmacht? Wo führen all die Optimierungen hin? Führt der Mensch ein lustloses, ein abgestumpftes Leben nach dem Anthropozän? Oder schlägt „die Natur“ wieder durch? Kann man dem Menschen seine Humanität auch im genveränderten Zustand nicht nehmen? Ist das Leben ohne zu altern wirklich ein besseres? Lieber die Lasten von Alter, (unausgelebter) Sexualität, schwindender oder gar nicht erst vorhandener Attraktivität aushalten, oder das Leben als lustfeindlicher optimierter und sich durch Photosynthese ernährender Neomensch führen?

Wie werden wir in Zukunft leben? Wie wollen wir leben? Was wird medizinisch machbar, was ethisch vertretbar sein? Es sind diese drängenden Zukunftsfragen, die, nicht nur in dieser Inszenierung, das Theater in Dortmund so sehenswert machen – es ist der technische Spieltrieb, der kreative Modus des Infragestellens auf der Grundlage spannender kinematografischer und literarischer (science-fiction), oftmals dystopischer Stoffe wie Houellebecqs Die Möglichkeit einer Insel. Und fast spielerisch hat das Ensemble und das Kollektiv sputnic etwas weitaus Besseres aus dem Stoff gemacht, als es Houellebecq in Romanform je konnte.

 

Informationen zum Stück

 

Weitere Vorstellungen:
Samstag, der 04. April
Donnerstag, der 16. April

 

2 Gedanken zu „Die Möglichkeit eines Theaters

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