Wir feiern 100 Jahre Krieg!

"Im Westen nichts Neues" am Schauspielhaus Bochum   Foto: Diana Küster2014 jährte sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal und auch das Schauspielhaus setzt sich im aktuellen Spielplan mit der Kriegsthematik auseinander. Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues wurde in Kooperation mit dem Abschlussjahrgang 2016 der Folkwang Universität im Fach Schauspiel und unter der Regie von Henner Kallmeyer neu inszeniert und feierte am 26. März dieses Jahres Premiere in den kleinen Räumen des Theater Unten. Mit viel Spielfreude vollzieht das charismatische Ensemble sein Bühnenspektakel, jedoch leider auch mit wenig Fingerspitzengefühl für den erzählten Text.

von GERALDINE GAU

Obwohl Remarque selbst nur wenige Wochen an der Front war, weiß der Ich-Erzähler Paul Bäumer in seinem Roman das soldatische Leben dezidiert und authentisch zu beschreiben. Der episodische Text speist sich zum großen Teil aus Berichten anderer Rekruten, die in Frankreich kämpften und spiegelt viele Facetten des Krieges wieder. Auch Abenteuer, Humor und Kameradschaft gehören dazu, jedoch bezieht Remarque immer wieder eine eindeutig pazifistische Position und verurteilt den Krieg als grausames Abschlachten von Humanmaterial. Menschen werden dort unwillentlich zu Maschinen, deren einzige Überlebenschance der Tod ihres Gegenübers ist. Remarque erweckt in seiner zuweilen stark emotionalen Beschreibung ein Höchstmaß an Einfühlung beim Leser. Den ganzen Text durchzieht ein verzweifeltes Gefühl unermesslicher Hilflosigkeit. Der Protagonist ist in ein Leben zwischen Tod und Trauma geworfen, wobei Tod in letzter Konsequenz die erträglichere Variante darstellt.

Zur Feier des Krieges

Regisseur Henner Kallmeyer und Dramaturg Justus von Verschuer nahmen zunächst radikale Kürzungen am Originaltext vor. Große Passagen mussten weichen, alle Figuren, die älter als 30 sind, wurden gestrichen. Der Text erfuhr sowohl eine Verjüngung als auch eine Komplexitätsreduktion. Zudem zeigt er sich in der Inszenierung in einer stark vermittelten Form. Mit eben diesen Mitteln wird die Einfühlung durch die Zuschauer immens erschwert.

Zehn junge Leute in Abendgarderobe stürmen die Bühne (Bühne und Kostüme: Franziska Gebhardt) und klettern über einen Zaun. Die Terrasse, auf der sie sich jetzt befinden und von wo aus sie aufgedreht, beinahe hysterisch den Beginn des Textes rezitieren, könnte auch ein romantisches Set für Romeo und Julia sein, begrenzt von einem mit Efeu umrankten weißen Holzzaun. Statt an einen Kriegsschauplatz fühlen wir uns an eine Party-Szene spaßsüchtiger Jugendlicher aus der gehobenen Gesellschaft erinnert. Der Zaun ist ein bisschen ramponiert, so wie auch die Kleider der Leute verdreckt und deren Haare grau sind – möglicherweise vom Staub der Schützengräben oder vom Schock der Gewalttaten des Krieges. Nur äußerlich zeigt sich jedoch diese Versehrtheit. Die Stimmung scheint ungebrochen. Die Darsteller singen, tanzen, trinken, lachen und nähern sich auch körperlich einander an. Zwischendurch geben sie immer wieder Episoden aus dem Roman zum Besten, manchmal herablassend, manchmal fröhlich-affektiert, aber meist so, wie man eben eine humorvolle Anekdote auf einer Party erzählt. Der Kontrast zwischen dem Erzählen und dem Erzählten rückt den Text jedoch nicht in den Fokus, er lässt ihn vielmehr inhaltsleer und völlig austauschbar wirken, wie eine bedeutungslose Klangmatte, die vom intensiven Schauspiel verdrängt und überfrachtet wird. Eine Hinwendung zum Text stellt sich nur in zwei kurzen Sequenzen überraschend ein, in denen die Körperlichkeit der Darsteller stark zurückgenommen wird. Einmal wird es vollkommen dunkel auf der Bühne, ein zweites Mal werden die Schauspieler auf drei Personen reduziert, die bewegungslos in einem Tableau verharren. Es findet nun eine Konzentration auf den gesprochenen Text statt, die erstmalig eine Reflexion über den Inhalt des Gesagten zulässt. Dem Zuschauer wird ein Fünkchen Ergriffenheit gestattet und er kann kurz die immense Durchschlagskraft des literarischen Werkes erahnen.

"Im Westen nichts Neues" am Schauspielhaus Bochum   Foto: Diana KüsterModerne Kriegseuphorie

Schnell kann man darauf schließen, dass Einfühlung hier gar nicht auf dem Plan steht. Es wird keine Geschichte erzählt, kein Standpunkt vertreten, keine Antikriegsbotschaft angeregt. Vielmehr erzählt die Inszenierung vom Erzählen selbst. Wie dem Begleittext zu entnehmen ist, wird die Frage gestellt, wie wir heute eigentlich noch über Krieg sprechen können. Die Partygesellschaft der jungen Leute redet über den Krieg, wie über jedes andere Thema. Da der Text so aufgeteilt ist, dass keine Figuration mehr stattfindet und alle Darsteller zu charakterlosen Stimmen werden, wird er zudem anonymisiert. Der Krieg berührt sie nicht, denn sie haben nicht gekämpft. Sie kennen Krieg aus den Medien meist nur in Form von sachlicher Berichterstattung und urteilen mit einer überlegenen Distanz. Die Inszenierung geht sogar so weit, den Krieg zur Feierlichkeit zu stilisieren und spielt damit auf eine moderne Kriegseuphorie an, die sich beispielweise darin äußert, dass junge Männer zum Dschihad aufrufen und Hollywood einen jugendlichen Revolutionär nach dem anderen in den Ring schickt.

Zurück zu den Zeugen der Zeit

Das Portrait, das Kallmeyers Inszenierung von aktueller Kriegsrezeption anbietet, wirkt weniger kritisch oder anprangernd, sondern steht eher als wertfreie Frage im Raum: Wie sollen wir mit dem Krieg, wie mit der Ausweitung von Euphorie und Distanz zum Kriegsgeschehen umgehen? Es gilt jedoch zu bedenken, dass Glorifizierung und Distanzierung in Kriegszeiten immer auf der Tagesordnung standen. Dies klingt bereits bei Remarque an, dessen Protagonist von den Zivilisten mal als Held gefeiert, mal abschätzig auf seine Bürgerpflicht hingewiesen wird. Immer jedoch scheinen alle anderen besser zu wissen, wie der Krieg zu führen ist, als die Soldaten an der Front. Anteilnahme kommt nur von seiner Familie und selbst die könnte seine Erlebnisse nicht verstehen, äußert sich Paul Bäumer im Roman.

Die hier inszenierte Verhandlung des Kriegs wirkt im Hinblick auf den Originaltext nicht mehr wie ein aktuelles Phänomen, sondern wie eine universelle Strategie um Gewalt zu rechtfertigen oder auszublenden. Es ist schade, dem Text auf so rigorose Weise seine Autonomie zu entziehen, wie es in der Interpretation am Bochumer Schauspielhaus geschieht. Gerade in Zeiten, in denen es kaum noch primäre Zeugen gibt, hätte eine Rückbesinnung auf Zeitdokumente die Kraft, unser heutiges Selbstverständnis zu relativieren und zu überdenken. Vielleicht bedarf das Werk keiner Modernisierung, vielleicht ist es gerade deshalb noch aktuell, weil sich die grundlegenden politischen Strategien in den letzten hundert Jahren kaum geändert haben.

 

Informationen zum Stück

 

Nächste Vorstellungen:
Dienstag, der 05. Mai
Freitag, der 15. Mai
Freitag, der 29. Mai

 

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