Zwischen Verliebtsein und Verachtung

Viktor Schklowski: Zoo. Briefe nicht über Liebe, oder Die Dritte Heloise; Cover: Guggolz

Manche ältere Texte schaffen es, sowohl tagesaktuell als auch unglaublich schlecht gealtert zu sein. Viktor Schklowskis (1893–1984) Briefroman Zoo. Briefe nicht über Liebe, oder Die Dritte Heloise von 1923 ist ein solcher Fall. Mit dieser Neuübersetzung hat der Guggolz-Verlag einen Text herausgekramt, der an manchen Stellen durchaus interessante Einblicke in das Leben russischsprachiger Literatenexilanten in den 1920er Jahren liefert. An vielen anderen Stellen jedoch möchte man seinen Schädel an der Wand zerschlagen.

von CAROLIN KAISER

Mein liebstes Falschzitat stammt bzw. stammt nicht von Mark Twain: „History doesn’t repeat itself; it rhymes“. (Wie oder warum gerade Mark Twain dieser Sinnspruch zugeschrieben wurde, ist nicht bekannt. Der wahrscheinlichere Urheber dieses Spruches ist der österreichisch-US-amerikanische Psychoanalytiker Theodor Reik.) Als man sich beim Guggolz Verlag dafür entschieden hat, die bisher noch nicht ins Deutsche übersetzte erste Auflage von Viktor Schklowskis autobiografisch angehauchten Briefroman Zoo. Briefe nicht über Liebe, oder Die Dritte Heloise aus dem Jahr 1923 übersetzen zu lassen und zu veröffentlichen, war noch nicht abzusehen, dass sich beim Erscheinungstermin im März 2022 die Geschichte wieder einmal reimen sollte. Ähnlich wie zu Beginn der 1920er Jahre als sowjetische Intellektuelle zu Scharen aus der UdSSR ins Exil nach Westen flohen – entweder wegen einer konkreten Verfolgungsbedrohung oder weil sie den zunehmend autoritärer werdenden Sowjetstaat ablehnten –, vollzieht sich auch heute, ziemlich genau 100 Jahre später im größten Nachfolgestaat der UdSSR ein intellektueller Exodus. Vor diesem Hintergrund ist Schklowskis Briefroman an manchen Stellen aktueller als vom Verlagshaus vermutlich beabsichtigt (an anderen Stellen ist er es jedoch wiederum überhaupt nicht, dazu später mehr). Der Grund: Schklowski schrieb den Roman, bzw. die (echten) Briefe, aus denen er ihn zusammengestellt hat, als er selbst als Exilant in Berlin lebte – einer Art Hauptstadt des sowjetischen Exils zu der Zeit. Als Mitglied der Bolschewiki-kritischen Partei der Sozialrevolutionäre, die sich ab 1919 zunehmender Verfolgung ausgesetzt sah, war sich Schklowski bewusst, dass es für ihn riskant war, in seinem Heimatland zu bleiben. Im März 1922 floh er schließlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über die zugefrorene Ostsee nach Finnland und von dort aus weiter nach Berlin. Seine Frau, Wasilissa Schklowskaja-Kordi, ließ er übrigens in Leningrad zurück – was für ein sympathisches Kerlchen.

Der unglückliche Künstler und seine genervte Muse

Aber worum geht es denn jetzt in diesem Roman mit dem äußerst sperrigen Titel? Wie bereits angedeutet handelt es sich um einen Briefroman, der größtenteils aus einer tatsächlichen Briefkorrespondenz Schklowskis stammt. Adressatin der meisten Briefe ist Elsa Triolet (geborene Kagan), in Zoo zu Alja anonymisiert. Triolet, die in Moskau geboren und aufgewachsen war, lebte zur selben Zeit wie Schklowski in Berlin und sollte im späteren Verlauf ihres Lebens noch eine erfolgreiche französischsprachige Schriftstellerin werden. 1945 erhielt sie als erste Frau den französischen Literaturpreis schlechthin, den Prix Goncourt. Im Frühjahr 1923 jedoch war Triolet schriftstellerisch noch nicht aktiv. In Zoo nimmt sie ganz im Gegenteil die passive Rolle ein, die Frauen in männlichen Künstlerromanen klassischerweise einnehmen – die der Muse. Schklowski, der – es sei noch einmal betont – eine Ehefrau im chaotisch-revolutionären Leningrad hat, ist (natürlich) unsterblich in Triolet verliebt und überflutet sie mit Liebesbriefen. Triolet wiederum fühlt sich von Schklowski zwar geschmeichelt und scheint ihn als guten Bekannten zu schätzen, erwidert seine romantischen Gefühle aber in keiner Weise. Von seinen pathetischen Liebesbekundungen ist sie vielmehr genervt und erlaubt Schklowski ihr nur noch Briefe zu schreiben, die nicht von Liebe handeln.

Frauenbilder zum Haareraufen – und Strafrechtlichrelevanteres

Das gelingt Schklowski nur bedingt. In seinem verliebten Selbstmitleid bringt er solche peinlichen Stilblüten zu Papier wie diese hier: „Wie ein Teppich lag ich dir zu Füßen, Alja!“ Der fast schon anmaßend-anklagende Ton in diesem Zitat ist emblematisch für Schklowskis unerträglich egoistisch-wehleidiges Verliebtsein. Triolet bringt es in einem ihrer Antwortbriefe an Schklowski (die mit zu den besten Briefen im Roman gehören) gekonnt auf den Punkt: „Du schreibst über mich – für Dich, ich schreibe über mich – für Dich.“ Obwohl Schklowski sehr viel über Triolet schreibt, offenbart sich den Lesenden von dieser wirklich faszinierenden Frau aus Schklowskis Briefen nichts – sie bleibt ein Abziehbildchen einer mondänen, kaufsüchtigen Frau, die sich nur in Engländer und US-Amerikaner verliebt, aber die guten russischen Männer mit ihrer ach so tiefen Seele links liegen lässt. Schklowskis intelligenter (Achtung Ironie) Kommentar: „Wir [russischen Männer] verlieren unsere Frauen!“ Mein Kommentar: Vielleicht sollte man seine Frauen dann nicht zu Hause sitzen lassen, während man sich im Ausland den Arsch rettet! Entschuldigen Sie den Kraftausdruck – diese Rezensentin hat sehr große Sympathieprobleme mit Herrn Schklowski. Das liegt zum großen Teil daran, dass Herr Schklowski offensichtlich selber sehr große Sympathieprobleme mit Frauen hatte. So resümiert er beispielsweise: „Die Frauen der Menschen sind nicht zu verstehen.“ Welch ein Wunder, dass Elsa Triolet beim Lesen dieser Zeilen dem Briefschreiber nicht zu Füßen lag wie ein Teppich, um Schklowski eigene Worte zu benutzen. An anderer Stelle bemüht er den Dreiklang von „Speisen, Weinen, Frauen“ – alles Dinge, die man konsumieren kann! Auch herzallerliebst: „Eine Syntax gibt es im Leben einer Frau praktisch nicht.“ (Warum gebe ich mir eigentlich die Mühe, grammatikalisch korrekte Sätze zu formulieren?) Und welche Frau bekommt bei folgender Einschätzung ihres Geschlechts kein weiches Herz? „[Z]wei Frauen, die so lange nebeneinanderstehen, können nicht anders als lästern.“ Über eine Gruppe von „Banditen“, die Frauen in Moskau vom Bürgersteig in ihre großen, schwarzen Autos zerren und sie in einen Vorort verschleppen, um sie dort zu vergewaltigen, schreibt er: „Bürger, hört: diese Männer waren nicht schlechter als andere.“ Und ganz ehrlich – hier ist der Punkt, an dem ich auch nicht mehr weiß, was ich dazu noch Schnippisches sagen kann. Ein Vergewaltiger ist anscheinend auch nur ein Mann wie jeder andere – ich kann gar nicht entziffern, gegen wen das sexistisch ist. Frauen? Männer? Beide? Ich glaube, ich verstehe jetzt besser, warum es in der Ostukraine gerade zu so vielen Vergewaltigungen durch russische Soldaten kommt. Sie haben Schklowskis Segen.

Ja, ist denn alles schlecht an diesem Roman?

Nach diesem moralischen Tiefpunkt ist es schwer über die positiveren Aspekte des Romans zu sprechen. Aber ich versuche mein Bestes! Anführen lässt sich zum Beispiel Schklowskis Einsicht in die Literaturszene des sogenannte „russischen Berlin“, in dem sich zusammen mit ihm noch ca. 300 000 andere Russischsprachige aufhielten, die ihrer Heimat zumindest zeitweise den Rücken gekehrt hatten. Denn glücklicherweise schreibt Schklowski nicht nur über seine oberflächliche „Liebe“ zu Triolet. Er berichtet auch über seine künstlerischen Zeit- und Landesgenossinnen und -genossen, die mit ihm im Exil lebten, wie etwa der Verleger Sinowi Grshebin oder die Autoren Maxim Gorki und Alexei Remisow. Aber auch über solche, die in der Sowjetunion geblieben waren, wie Velimir Chlebnikow und Boris Pasternak. Tatsächlich handelt ein Großteil der Briefe Schklowskis, der neben Liebeskummer auch noch unter schrecklichem Heimweh nach Russland leidet, von seinen russischsprachigen Literatenkollegen. Hier vermag Schklowski oftmals sogar das zu tun, was ein Schriftsteller tun sollte: gut schreiben. So charakterisiert er die Gedicht Boris Pasternaks treffend wie folgt:

„Er spürt die Bewegung, seine Gedichte haben einen herrlichen Zug, die Verse biegen und bäumen sich wie Stahlstreben, sie stoßen gegeneinander wie Waggons, wenn die Lok plötzlich abbremst. Es sind gute Gedichte. Ein glücklicher Mensch.“

Es ist also nicht so, als ob Schklowski nicht schreiben könnte. Er hat es nur aus lauter Wehleidigkeit und Selbstmitleid vergessen zu tun. Positiv angemerkt werden muss aber die Neuübersetzung des Textes von Olga Radetzkaja und der Umfang dieser Neuerscheinung. Es handelt sich bei der Ausgabe vom Guggolz-Verlag nämlich nicht nur um eine Veröffentlichung der Originalversion von 1923. Im Anhang finden sich sämtliche Briefe, die in den zahlreichen späteren Versionen neu hinzugekommen sind. Auch Radetzkajas Nachwort ist lobend hervorzuheben, kontextualisiert es den Roman nicht nur historisch sondern auch innerhalb Schklowskis Werk. Dem Essay von Büchner-Preisträger Marcel Beyer konnte ich persönlich hingegen nicht allzu viel abgewinnen. Aber das liegt wahrscheinlich weniger an der Qualität des Essays als vielmehr an der Tatsache, dass mir nach Schklowskis Vergewaltikerapologetik, die Lust nach Lobeshymnen auf diesen Autor vermiest war. Alles in allem handelt sich bei der vorliegenden Ausgabe von Zoo ohne Frage um die definitive deutschsprachige Version. Wenn Sie bereits wissen, dass Sie Schklowski mögen und sich von meiner Miesepeterei nicht die Freude an diesem Autor haben nehmen lassen, greifen Sie zu! Wenn nicht – lesen Sie was anderes. Elsa Triolet zum Beispiel.

Viktor Schklowski: Zoo. Briefe nicht über Liebe, oder Die Dritte Heloise. Aus dem Russischen und mit einem Nachwort von Olga Radetzkaja, Essay von Marcel Beyer.
Guggolz, 189 Seiten
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 9783945370346

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