Die unerklärliche Lächerlichkeit der Zeit

Andreas Stichmann: Eine Liebe in Pjöngjang; Cover: Rowohlt Verlag

Eine Liebe in Pjöngjang des preisprämierten Autors Andreas Stichmann spielt vor der Fassade eines Landes, das Nordkorea darstellen soll. Doch statt sich über eine authentische Erzählung im Herzen eines diktatorischen Regimes zu profilieren, bedient Stichmann lediglich die Topoi seiner Zeit: kurze, attributlose Sätze, unnötige Komposita und irgendwas mit Liebe. Ein Schreibstil zum Abgewöhnen!

von THOMAS STÖCK

„Um Gottes Willen, warum bin ich verurteilt, diese Art Literatur zu lesen? Ich will das nicht lesen, das ist lächerliches Niveau. Das ist ein Geschwätz ohnegleichen.“ Mit diesen Worten beschrieb Marcel Reich-Ranicki sein zwischenzeitliches Fazit am 17. August 2011 zu Sven Regeners Herr Lehmann. Ich muss zugeben, ganz so viel Ärger über das Lesen eines schlechten Buches habe ich noch nicht entwickelt, wenngleich auch mir bei meiner Lektüre von Eine Liebe in Pjöngjang Worte wie lächerlich oder Geschwätz in den Sinn gekommen sind. Verblendet durch den Titel habe ich die Hoffnung gehegt, Andreas Stichmann würde tatsächlich den Versuch unternehmen, die nordkoreanische Gesellschaft porträtieren zu wollen. Doch mit der Erwartungshaltung ist es immer so eine Sache.

Eine Liebe in Pjöngjang ist eigentlich genau das, was draufsteht. Der Plot besteht aus nichts anderem als einer Begegnung der Deutschen Claudia Aebischer und der Nordkoreanerin Sunmi. Zwischen diesen Beiden, da fliegen die Funken. Natürlich nur innerhalb der engen Grenzen, die die Einheitspartei Nordkoreas erlaubt, und auch ohne Kuss oder ein Wort der ernstlichen Liebesbekundung. Aber ihre Blicke treffen sich! Claudia ist – als hätte das auch nur irgendeine Bedeutung für die Handlung! – Kulturmensch. Sicher, sie hat irgendwas mit Bibliotheken zu schaffen, aber diesen Nonsens-Begriff aus der Stichmann’schen Feder muss ich doch aufgreifen. Das Wort Kulturschaffende ist offensichtlich nicht mehr en vogue, nein. Heutzutage ist man Kulturmensch. Vielleicht sollte Stichmann sich nochmal informieren, ob Kulturmensch nicht vielleicht eine verfängliche Assoziation mit der völkischen Ideologie um 1900 und deren Begriff vom Kulturmenschen weckt? Also, dieser Kulturmensch namens Claudia trifft auf eine Germanistin. In Nordkorea. An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass Stichmann zu seinem Roman inspiriert wurde von seiner eigenen Nordkoreareise im Jahre 2017. Warum schreiben Kulturmenschen eigentlich immer nur über Kulturmenschen? Ist das alles, was man von einer Nordkoreareise mitnehmen kann?

Besser stillos als dieser Stil

Nun gut, lassen wir die hanebüchene Handlung mal beiseite. Es gibt ja durchaus auch schlechte Bücher, die zumindest sprachlich überzeugen können. Litiotopia ist da ein gutes Beispiel. Stichmann hingegen verzapft Schoten, die mich das Buch mehrfach aus der Hand haben legen lassen. Da muss man sich erstmal wieder sammeln, um sich zum Weiterlesen animieren zu können. „[D]ämmerungsduftbeschwingt“ fühlt sich Claudia. Solche Komposita kenne ich sonst nur von Zeit Online, wenn die Leute für irgendeine Abstimmung ihre tagesaktuellen Gefühle in einem Wort beschreiben sollen. Wie duftet denn die Dämmerung in Nordkorea? Mehr so trotzblau (Stichmanns Beschreibung eines Büstenhalters), tropfsteinhöhlig (seine Beschreibung eines Felsens), bürokratiegrün (so sehen laut Stichmann Gesichter aus) oder nicht doch utopiesauber (Stichmanns Beschreibung eines Gemäldes unseres Planeten Erde)? Im Kontext ergeben die genannten Adjektive übrigens noch viel weniger Sinn. Der Duft der Dämmerung, der Claudia so beschwingt, wird natürlich nicht beschrieben. Diesen Duft in Worte zu fassen, dazu ist Stichmann augenscheinlich nicht in der Lage.

„Es ist atemberaubend, wie präzise, klug und knapp der 1983 geborene Autor schreibt, wie lässig, schön und floskellos.“ Das behauptet ein WDR-Schreiberling über Stichmann. Ein Glück für den Kulturmenschen vom WDR, dass es nicht um den vorliegenden Roman ging, sonst hätte ich doch starke Einwände erhoben. Und zumindest hege ich ernsthafte Zweifel, ob meine Beobachtungen ein Einzelfall in Stichmanns Werk sind. Wer es für eine kluge Idee hält, Brücken zu „Brückchen“ zu verniedlichen, der geht eben das Risiko ein, dass das Wort bei mir die Assoziation an unerfreuliche Erzeugnisse meiner Katze hervorruft, wenn sie nicht nur ein paar Haare, sondern eben auch ihr Futter hochwürgt. Auch befinden sich Lautmalereien à la „KIIMmooouuUUU!“ auf dem Niveau von literarischen Klassikern wie Die Wilden Fußballkerle, einer Bücherserie für Kinder. Diese Wortmonstrositäten fand ich schon einfach nur peinlich, als ich Die Wilden Kerle las – und da war ich zwölf. Aber jetzt weiß ich endlich, für wen diese Ungetüme geschaffen wurden. Weitere Peinlichkeiten, die ich gar nicht mehr kommentieren möchte: „Claudia schwamm wie ein gutwilliges Rind.“ — „Eine scharfe Egalness lag darin.“ — „Es war Disney.“ Claudia soll übrigens jenseits der 50 sein und sich gerade zu Beginn – inmitten der übrigen Kulturmenschen, unter ihnen auch Blogger – wie eine Oma fühlen. Wenn also diese Oma ihre Egalness kundtut und – ich erinnere nochmal daran, angeblich mitten in Nordkorea – die Erkenntnis hat, dass ihre Kindheitsvorstellungen irgendwie Disney sind, dann erinnert mich das, um auch mal Stichmanns Sprache zu sprechen, an Steve Buscemi als Jugendlicher verkleidet, der da fragt: „How Do You Do, Fellow Kids?“ Mit anderen Worten: Ich finde dieses Gesabbel, das en vogue befindlichen Klischees nacheifert, einfach nur lächerlich und vollkommen deplatziert.

Eine DDR-Bürgerin ist um ihre Reputation besorgt

Zwischenzeitlich versucht sich der Autor übrigens an der Herausforderung, die durchschnittlich kürzesten Sätze der Welt in einem Roman zu schreiben, indem er statt Kommata Punkte verwendet und jegliche Eigenschaftsworte weglässt. Natürlich bis zu so tollen Komposita wie dämmerungsduftbeschwingt. Das sind Worte, da gibt selbst meine Autokorrektur am Handy auf, irgendeinen Sinn oder einen Vertipper zu suchen und akzeptiert einfach ihr Schicksal, dass sie in diese Fantastereien nicht hineinreden kann. Welchen Nonsens ich schreibe, entscheide schließlich immer noch ich.

Doch halt! Wir waren ja mal in Nordkorea. Im farblosen Pjöngjang, wie Stichmann so eindrucksvoll beschreibt. Claudia findet, im Prinzip sei es in Pjöngjang ja wie in der DDR. Hat sie selbst so erlebt, also muss das so sein. Man kann über die DDR viel Schlechtes sagen, aber selbst die DDR ließ nicht Millionen von Menschen hungern, wie dies die nordkoreanische Führung seit Jahrzehnten tut. Übrigens fahren in Nordkorea die alten DDR-Züge noch, weil zumindest etwas in der DDR funktionierte. Claudia, unsere Geschichtsexpertin aus der ehemaligen DDR, muss gegen Ende des Romans auch eine Rede halten, um aus Nordkorea freizukommen. Während sie zeitgleich versucht, ihre große Liebe Sunmi aus Nordkorea zu befreien – ohne zu wissen, ob die das will –, denkt sie viel lieber darüber nach, was für einen Schaden ihre Reputation dadurch nimmt, dass sie irgendeinen Diktatoren lobt. Das ist natürlich das größte Problem in Nordkorea. Dass Claudia Aebischers Reputation Schaden nimmt. Herr Reich-Ranicki, was meinen Sie dazu? Sie wollen das nicht lesen? Dem kann ich mich nur anschließen.

PS: Auch zu Eine Liebe in Pjöngjang gibt es Stimmen, die das Buch über den grünen Klee loben. Da gibt es zum Beispiel eine Besprechung in der ZEIT, dessen Rezensent das Werk so aufmerksam gelesen hat, dass er Sunmi lieber Sunmin schreibt. Auch sehr gelungen ist der Text „Novalis in Nordkorea“ beim Deutschlandfunk. Die namentlich nicht genannte Person, die diesen Text verfasst hat, entdeckt die Wiederkehr der Romantik in den Worten Sunmis (hier immerhin richtig geschrieben) – dabei spricht sie gar nicht selbst, sondern ihre Worte werden in indirekter Rede wiedergegeben. Es scheint wirklich so, als hätte ich ein anderes Buch gelesen.

Andreas Stichmann: Eine Liebe in Pjöngjang. Roman
Rowohlt Verlag, 160 Seiten
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3-498-00293-0

2 Gedanken zu „Die unerklärliche Lächerlichkeit der Zeit

  1. Pingback: Ich denke, doch wer bin ich? | literaturundfeuilleton

  2. Pingback: Narben der Erde | literaturundfeuilleton

Hinterlasse einen Kommentar