Alte Gespenster und neue Wunden

COVER_Crimson-PeakDie Heirat einer jungen Frau mit einem Baron und der Einzug in das Haus seiner Familie ziehen schreckliche Folgen nach sich: Guillermo del Toros Gothic-Horror-Film Crimson Peak besticht nicht nur durch seine opulenten Schauwerte, sondern auch durch eine postmoderne und selbstreflexive Erzählweise, die das Horrorgenre als moderne Mythenerzählung ernst nimmt.

von PHILIPP HANKE

Nach dem Action-Spektakel Pacific Rim widmet sich der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro erneut dem Übernatürlichen, das er schon in seinen vielbeachteten Filmen The Devil’s Backbone und Pans Labyrinth innovativ und mit Stilsicherheit in Szene setzte. Die junge Autorin Edith Cushing (die zwischen Selbstbestimmung und Verwundbarkeit hervorragend ambivalent spielende Mia Wasikowska) wird von Geistern heimgesucht. Seit sie nach dem traumatisierenden Tod ihrer Mutter von deren Geist vor einem geheimnisvollen Ort namens „Crimson Peak“ gewarnt wurde, lässt die Frage, was nach dem Tod geschieht, sie nicht mehr los. Ihre Gespenstergeschichten stoßen zwar auf wenig Anklang in der Gesellschaft von Buffalo um 1900, doch die selbstbewusste Frau weiß sich zu helfen: So entgegnet sie dem Kommentar, als neue Jane Austen, sprich als ewige Jungfer zu enden, damit, doch lieber Mary Shelley nachzueifern – diese sei schließlich als Witwe gestorben. Dennoch verfällt Edith auf allzu romantisierte und nicht ganz glaubwürdige Weise dem Charme des industriellen Barons Thomas Sharpe (Tom Hiddleston), folgt ihm entgegen des Wunsches ihres Vaters nach England und findet sich bald als unterdrückte Ehefrau in dem Haus seiner Familie wieder. Das Anwesen wird von ihrer eifersüchtigen Schwägerin Lucille verwaltet (die wunderbar böse und verbitterte Jessica Chastain), die als wachende „Herrin der Schlüssel“ durch die dunklen Gänge schleicht. Edith wird bald klar, dass die beiden etwas Grausames im Schilde führen.

Von lieben Geschöpfen und bösen Menschen

Allerdale Hall bildet mit seinem beeindruckenden Set-Design das Herzstück des Films und symbolisiert mit seinen engen Gängen, unterirdischen Kellerräumen und einem maroden, offenen Dach, durch das sich Regen, Blätter und Schnee auf fast schon romantische Weise ihren Weg bahnen, die Traumata und gebrochenen Seelen seiner Bewohner. In der Hinsicht ist Crimson Peak einer Reihe von Horror-Filmen zuzuordnen, die das Böse nicht im Übernatürlichen, sondern in der Natur des Menschen selbst ausmachen (wie Georg Seeßlen etwa in einem kürzlich erschienenen Essay und einer Genealogie des modernen Horrorfilms herausgestellt hat). Von del Toros Geistern – wie auch schon den Kreaturen und Geschöpfen in Pans Labyrinth – scheint die Gefahr nicht auszugehen. Das Schauerstück situiert sich zwar in einer anderen Zeit, wäre ohne die Erkenntnisse und Diskurse des 20. Jahrhunderts jedoch kaum denkbar. So ergeht es sich nicht nur in freudschen, neurotischen Familienverhältnissen oder inszeniert seine Protagonistin als durchaus feministische Heldin, sondern leiht sich Plot Points und Motive bei einer Vielzahl erzählerischer und stilistischer Vorbilder.

Dass insbesondere in der zweiten Filmhälfte Anleihen etwa an Alfred Hitchcocks Rebecca und seinen Spionage-Thriller Notorious auszumachen sind oder das Set-Design unweigerlich an Edgar Allan Poes Erzählung The Fall of the House of Usher denken lässt, mag zwar unterhalten, nimmt dem Film und insbesondere der Liebesgeschichte aber leider einiges an Spannung. Als allzu vorhersehbar erweisen sich die zunehmend spärlich gesetzten Spannungsmomente, die sich nach einer zugegebenermaßen geschickten Einführung der Räumlichkeiten auf bekannte Klischees und eine Topologie des Horror-Genres verlassen, die das Böse im unterirdischen Keller und den finalen Kampf auf dem vernebelten, zeitlich anscheinend entrückten „Schlachtfeld“ verorten.

Der moderne Horror

Doch was sich für die Geschichte als nachteilig erweist, gewinnt durch diese postmoderne und selbstreflexive Metaebene eine ganz andere Kraft. Del Toro rückt den Horrorfilm in die Gegenwart, ohne ihn dank opulenter Schauwerte und eines Farbenrausches zu entzaubern. Gelesen etwa als subtile Kritik an überkommenen Klasseverhältnissen oder eines zunehmend entmenschlichenden Kapitalismus, wird deutlich, dass der Film die bekannten Mehrdeutigkeiten klassischer Horrorgeschichten nutzt und inhaltliche Logiklücken durchaus gewollt sind: Welcher Zweck scheint noch von einem Anwesen auszugehen, durch dessen Dielen der blutrote Ton (den der Baron auf verzweifelte Weise abzuschöpfen versucht) dringt und das buchstäblich in die Erde zu versinken droht? Warum klammern sich seine Bewohner an familiäre Repression und Unterdrückung, stets in der Versuchung, die Fesseln überkommener Klassenverhältnisse und leerer Adelstitel mit fast schon inzestuöser Liebe zu lösen? Und warum fiebern wir mit einer Protagonistin, die ihre Autonomie so leichtfertig aufzugeben bereit ist, um sich in einer selbstzerstörerischen Liebesbeziehung ohne Zukunft wiederzufinden? Vielleicht ist Crimson Peak in der Hinsicht wirklich nicht als Horrorfilm, sondern als das durchaus fortschrittliche Genre der „Gothic Romance“ – wie es auch del Toro selbst vorzieht – zu verstehen. Und vielleicht verbinden sich in der Figur der Edith tatsächlich die Liebesdramen einer Jane Austen mit dem nicht minder romantisierten Weltbild Mary Shelleys: So ist doch das feindselige Verhalten der Dorfgemeinde in Frankenstein das eigentlich Erschreckende, oder das Abstoßen des „Monsters“ durch seinen Herrn der Höhepunkt menschlicher Grausamkeit. Und steckt nicht letztendlich hinter unseren ewigen Gelübden und Liebesversprechen auch ein Anflug von Angst? Angst vor der Kurzsichtigkeit und Naivität des Augenblicks, aber auch vor dem Wissen, sich immer auch ein wenig selbst aufzugeben. Del Toro weiß von dieser Angst und hüllt sie in groteske, märchenhafte und verdächtig wunderschöne Bilder.

Crimson Peak (2015). Regie: Guillermo del Toro. Darsteller: Mia Wasikowska, Tom Hiddleston, Jessica Chastain. Laufzeit: 119 Minuten. Seit dem 15.10. im Kino.

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