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Goran Ferčec: Wunder wird es hier keine geben; Cover: Residenz Verlag

Goran Ferčecs Roman Wunder wird es hier keine geben ist eine dunkle Reflexion des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien: Unstimmigkeiten in der Einheit, eine bizarre Resolution und eine unappetitliche Geschichte. Dennoch führt sie am Ende genau dorthin, wo sie hingehört.

von NICK BIBIC

Als Kind von Geflüchteten aus dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien in den Neunzigern suchte ich mit der Lektüre von Wunder wird es hier keine geben eine Erklärung für die Dinge, die meine Eltern und Großeltern durchmachen mussten. Ich suchte nach einem Weg, ihr Leid nachzuempfinden. Was ich jedoch fand, war eine komplett andere Geschichte, nämlich die Benders, eines Mannes in seinen Dreißigern, welcher im nicht spezifizierten Ausland auf der Suche nach etwas Bedeutungsvollem im Leben nach dem Krieg vor sich hinvegetiert. Als sein Vater ihn anruft und ihn auffordert nach Kroatien zurückzukehren, um mit ihm nach der verschwundenen Mutter zu suchen, begibt sich Bender in das Dorf seiner Kindheit.

Dort trifft er den Vater an, welcher sich Tag für Tag gegen streunende Hunde verteidigt und raucht wie ein Schlot. Krankheit hat ihn ergriffen, doch bis auf die Andeutung von Lungenkrebs bleibt die offensichtlichste Krise des Mannes das Alter. Bender wandert in seinem Dorf umher, sucht seine Vergangenheit und über die ganze Länge des Romans hinweg alles Mögliche – bis auf seine verschwundene Mutter. Die Erzählung stolpert von einer Ruine zur nächsten, sodass man bald das Leben vor und das nach dem Krieg nicht mehr unterscheiden kann. Zuletzt gibt uns der Roman schließlich alles auf einmal: den Krieg, das Verschwinden der Mutter und den Tod des Vaters. Als Bender auf den letzten Seiten das alte Haus verlässt, ist er kein anderer Mensch als vorher. Dem Leser bleibt ein richtiges Ende verwehrt.

Eine Kriegsgeschichte ohne Krieg

Obwohl der Krieg im Leben der Figuren eine so wichtige Rolle spielt, wird kaum direkt auf ihn angespielt. Flüchtige Erwähnungen und kurze Abstecher der Gedanken in die Vergangenheit sind die Norm. Obwohl alle davon gezeichnet sind und ihn nicht loslassen können, leben sie, als ob der Konflikt schon 100 Jahre her ist. Was Bender, seinen Vater und die anderen Figuren antreibt, ist letztendlich die unendliche Flucht – sei es die buchstäbliche Flucht vor dem Krieg wie in Benders Fall oder die geistige Flucht seines Vaters, welcher kaum spricht und sich an Vergangenes klammert. In einem der letzten Kapitel spricht der Vater endlich vom Krieg in einem lang anhaltenden Satz angelehnt an das letzte Kapitel von James Joyce’ Ulysses. Diese Langatmigkeit der Erzählung ist der Langatmigkeit des ganzen Buches wie auch der des Krieges gleichzusetzen. Alles ist lang und auseinandergezogen, es existiert kein wahres Ende, obwohl es doch einen Anfang gibt.

Gedanken fliegen wie Kugeln

Die Art und Weise, in welcher Ferčec seinen Figuren Leben einhaucht, mag zwar auf den ersten Blick nicht erfolgreich scheinen. Meiner Erfahrung nach stellt sie perfekt den Zustand derjenigen dar, welche Jugoslawien damals ihre Heimat nannten. Ein Halbleben aus zusammengeworfenen Sätzen und Gedanken, die zu nichts führen, zieht sich durch den Roman. Für viele ist das sicherlich eine große Hürde, jedoch erzeugt diese spontane und fast willkürliche Erzählweise vor allem in den Kapiteln vor der Rückreise nach Kroatien die Gefühle, welche Bender selbst fühlt: Verwirrung, Apathie und Einsamkeit. In jedem Moment, in dem die Figuren miteinander interagieren, besteht sowohl eine durch den Krieg hervorgerufene emotionale Distanz als auch eine sprachliche, welche Ferčec durch das Auslassen von Ausrufen und die Plastizität der Dialoge erzeugt. Wer das Buch liest, findet sich wieder als Zeuge einer langen traumatischen Handlung, welche lange vor Romanbeginn einsetzt und weit nach dessen Ende aufhört. Doch Zeugen sind in Ex-Jugoslawien nicht erwünscht, denn keiner hat etwas gesehen und keiner will etwas zugeben. „Nach dem Krieg hat der Begriff des Zeugen jede Rechtmäßigkeit eingebüßt“, behauptet Benders Vater, welcher sich selbst am Ende als Zeuge offenbart. In der Welt Ferčecs gibt es keine Reinheit und keine klaren Motive. Jeder ist ein Zeuge und jeder muss sich offenbaren – ob vor den anderen oder den Lesern.

Goran Ferčec: Wunder wird es hier keine geben.

Residenz Verlag, 284 Seiten.

Preis: 22,00 Euro

ISBN: 978-3-7017-1740-8

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