Zwischen Spartakus und Bonaparte

Sudhir Hazareesingh: Black Spartacus; Cover: C. H. Beck

Sudhir Hazareesinghs Biografie Black Spartacus porträtiert den Mann, der in der französischen Kolonie Saint-Domingue die schwarze und kreolische Bevölkerung aus der Sklaverei in die Freiheit führte und der damit den Weg ebnete für die Unabhängigkeit des heutigen Haiti: Toussaint Louverture. Hazareesingh zeigt auf, dass es Toussaint als fähigem General gelang, nacheinander Franzosen, Briten und Spanier bittere Niederlagen zuzufügen. Auch politisch konnte „der schwarze Spartakus“ häufig seinen Willen durch geschicktes und weitsichtiges Handeln durchsetzen, wobei er jedoch seine republikanischen Ideale für die eigene Machtposition verriet. Eine durch ihren Detailreichtum beeindruckende Biografie, die zugleich die Stärken und Schwächen dieses geschichtswissenschaftlichen Genres aufzeigt.

von THOMAS STÖCK

Unser Bild der französischen Geschichte ist geprägt von einem triumphalen Ereignis: der Französischen Revolution von 1789, durch die die absolutistische Monarchie beseitigt wurde und die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle brachte. Wirklich für alle? Zuletzt zeigte eine öffentlichen Diskussion über den algerischen Unabhängigkeitskrieg das französische Selbstverständnis im Umgang mit Mitmenschen anderer Hautfarbe auf, sodass die Verkündung der revolutionären Ideale auch 200 Jahre später keineswegs so allgemeingültig wirkt (hier finden Sie eine klasse Dokumentarserie von Arte zum Thema). Viele Zeitgenossen der Revolution sahen jedoch in der Parole der französischen Republikaner ein wahrhaftiges Bemühen um eine Gleichberechtigung aller Menschen. Es kommt daher nicht von ungefähr, dass sich neben Frankreich ausgerechnet der karibische Staat Haiti ebenfalls diese Ideale bis heute als Wahlspruch auf die Fahnen schreibt. Selbiges gilt für die wohl schillerndste Persönlichkeit des Inselstaats, die in den Wirren der Revolution im Machtgefüge rasant aufstieg: Toussaint Louverture.

Genau diesen Mann und dessen Leben porträtiert Sudhir Hazareesingh in Black Spartacus in insgesamt vier Themenblöcken von je drei Kapiteln sowie Einleitung und Epilog. Sein Leben fristete Toussaint zunächst als Sklave auf dem damals noch als französische Kolonie Saint-Domingue benannten Inselteil. Etwa um das Jahr 1740 wurde er auf einer Plantage im Norden geboren. Da sein Vater – ein Afrikaner, der innerhalb seiner Gemeinde hohes Ansehen genoss – Sklave war, war Toussaint dies auch von Geburt an. Sein Name lautete zu diesem Zeitpunkt noch Toussaint Bréda, der vermeintliche Nachname weist auf die Plantage hin, auf der er lebte und arbeiten musste. Schon in jungen Jahren erlebte er die Sklavenerhebungen um den afrikanischen Vodou-Priester (so die gewählte Schreibweise im vorliegenden Buch) François Makandal, der 1758 hingerichtet wurde.

Die Revolution frisst ihre Kinder, nicht jedoch Toussaint

Da Toussaint bereits vor der Revolution freigelassen wurde und auch lesen und schreiben konnte, genoss er innerhalb der Bevölkerung der Schwarzen und Kreolen eine besondere Stellung. Als 1789 die Französische Revolution ausbrach, wollten die weißen Pflanzer nichts von einer Gleichberechtigung ihrer bis dahin versklavten Mitbürger wissen. Es brach ein Bürgerkrieg in der Kolonie aus, an dem sich Louverture auch beteiligte. Der Sklavenaufstand bringt ihm in späteren Tagen den Beinamen „Black Spartacus“ ein. Tatsächlich nutzte Louverture die komplexe Gemengelage unter den Kolonialmächten zu seinen Gunsten aus, sodass er in den revolutionären Wirren die Hilfe von Briten und Spanier annahm, um sich von dem Joch der Sklaverei zu befreien. Offiziell wurde diese 1794 im französischen Teil der Insel abgeschafft. Doch musste Louverture mitsamt seinen Gefolgsleuten die neu gewonnene Freiheit gegen Briten und Spanier verteidigen, da beide Kolonialmächte selbst noch auf die Sklaverei setzten und Aufstände befürchteten. Frankreich unterdessen war durch die Revolution politisch isoliert und hatte nur noch losen Kontakt zu seiner eigenen Kolonie, sodass die Macht den Franzosen langsam, aber sicher abhandenkam. Die Revolution frisst ihre Kinder, nur Toussaint saß fest im Sattel.

Dies zeigte sich an den von Frankreich eingesetzten Gouverneuren, die in immer kürzeren Abständen die Insel wieder verlassen mussten. Schuld daran war Toussaint Louverture. Der erste unter ihnen, der selbst noch die revolutionären Ideale vertrat, wurde noch als „Père Laveaux“, als Adoptivvater Toussaints anerkannt. Seinen Nachfolger verjagte Toussaint bereits von der Insel. An diesen Personalien macht Hazareesingh den zunehmenden Machtgewinn deutlich, durch den Toussaint sich und Saint-Domingue vom französischen Mutterland emanzipieren konnte. Die Emanzipationsversuche gingen so weit, dass Louverture 1801 wider französischen Willen den spanischen Ostteil der Insel eroberte und im selben Jahr eine Verfassung für die Kolonie ausrief. Das napoleonische Frankreich, das sich längst von den revolutionären Idealen entfernt hatte und in vielen Kolonien die Sklaverei wieder einsetzte, sah hierin einen Affront, den es zu tilgen galt.

Zwischen „Black Napoleon“ und schwarzem Helden

Die französischen Expeditionstruppen, die Louverture letzten Endes durch eine List gefangen nahmen, konnten die Unabhängigkeit der erstarkten Kolonie nicht mehr verhindern. Louvertures umstrittene Politik fand auch ohne ihn eine Fortsetzung in autoritären Führern des Landes. Ihr Vorbild war der „schwarze Napoleon“, der nicht nur in seiner Eigenschaft als begnadeter Heeresführer Parallelen zu seinem französischen Widersacher aufweist. Auch die durch ihn initiierte Verfassung zeugt davon, dass er genau wie Napoleon ehrgeizige Pläne für „seine“ Heimat hegte – und diese Pläne am Ende seiner Macht allzu oft gegen den Willen seiner Mitmenschen durchzusetzen gewillt war. Daraus resultierten Konflikte wie der eines Aufstands von Louvertures Neffen Moyse, den „Black Spartacus“ blutig niederschlagen ließ. Und letztendlich stürzten ihn auch seine eigenen Leute; unter Jean-Jacques Dessalines’ Ägide übte ein Teil von Louvertures Generalstab Verrat, der ihn letztendlich seine Freiheit kosten sollte. Dessalines wiederum führte am 1. Januar 1804 Haiti in die Unabhängigkeit.

Einige der abschließenden Kapitel widmen sich dem Nachleben von Toussaint Louverture. Während in Europa erst seit Kurzem eine Auseinandersetzung mit dem Sozialrevolutionär einsetzt, war er schon zu Lebzeiten ein Vorbild vieler Emanzipationsbewegungen – in der Karibik, in Südamerika, auch bei der Abolitionismus-Bewegung in den USA. Heute stehen für ihn Denkmäler in Amerika, Afrika und Europa. Selbst in den französischen Panthéon wurde Louverture aufgenommen. Hazareesingh zeigt mit seiner Biografie auf, wie sein militärisches und politisches Geschick Toussaint Louverture an die Macht brachte, aber auch, für welche Werte er eintrat, sodass er überhaupt zu einer schillernden Figur der Emanzipationsbewegung heranreifen konnte.

Biografie und Geschichtsschreibung: Probleme und Chancen

Doch birgt das Genre der historischen Biografie einige Problematiken. So bezeichnet David A. Bell in seiner Rezension im Guardian Louverture als „the first black superhero of the modern age“. Ähnliche Töne schlägt auch Alan Forrest in seiner Rezension im Times Literary Supplement an. Und auch das Kapitel „Ein universeller Held“ erweckt auf den ersten Blick den Eindruck, Hazareesingh glorifiziere Louvertures Erbe. Dem ist aber nicht so, schließlich bezieht er sich auf die Rezeptionsgeschichte, in der Louverture glorifiziert wird – die beiden genannten Rezensionen unterstreichen diese Deutung. Doch eignet sich ein Herrscher wirklich zum Helden, der sich durch eine dem Volk oktroyierte Verfassung quasi-diktatorische Vollmachten verleiht, wirklich zum Helden? Auch die vielen Massaker, verübt an seinen Feinden, lassen Zweifel daran aufkommen, ob Louverture wirklich als Held tituliert werden sollte. Auch hehre Ziele rechtfertigen niemals grausame Mittel. Vielleicht sollte das Heldentum lieber der Literatur überlassen werden – für unsere Geschichte eignet sich dieser Begriff schlicht nicht. Leider leisten hier Biografien Vorschub, da das Genre schlichtweg zu einer Lesart verleitet, die eine Person in den Mittelpunkt von Entwicklungen setzt, die aus viel komplexeren Strukturen heraus entstehen.

Für Kenner der haitianischen Geschichte (und kritischere Geister als die beiden genannten Rezensenten) wird Hazareesinghs Biografie dennoch viele gewichtige Erkenntnisse mit sich bringen, da er durch den mikroskopischen Blick auf die vielen Details im Leben des Revolutionärs (im Prinzip wird das gesamte Schrifttum um Toussaint Louverture thematisiert und viele dieser Dokumente auch abgedruckt) ein vollumfängliches Bild kreiert. Nur deshalb ist es mir überhaupt möglich, Kritik an den oben genannten Rezensionen zu üben, eben weil Hazareesingh die vielen Seiten ein und derselben Medaille benennt und plausibel begründet. Kritisch ist leider anzumerken, dass sich die Biografie nicht als Einsteigerlektüre eignet – zu wenig systematisch und zu wenig instruktiv kommt diese Biografie daher, sodass die weiteren Entwicklungen abseits von Louvertures Leben in der Kolonie Saint-Domingue und im unabhängigen Haiti stellenweise unter den Tisch fallen. Und dennoch ist dieses Buch eine gewinnbringende Lektüre, zeigt sie doch das enorme Potenzial auf, das die Detailverliebtheit einer Biografie gegenüber den „großen Geschichtserzählungen“ voraushat. Denn viele der Zusammenhänge im Großen ergeben sich erst durch die Fußnoten der Geschichte. Eine dieser Fußnoten ist Napoleons Vermerk in seinen Memoiren, dass es einer seiner größten Fehler gewesen sei, Toussaint Louverture und dessen Truppen angegriffen zu haben. Denn auch auf diesen Angriff vom vermeintlichen Mutterland war Louverture vorbereitet.

Sudhir Hazareesingh: Black Spartacus. Das große Leben des Toussaint Louverture. Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Nohl unter Mitwirkung von Nastasja Dresler
Verlag C. H. Beck, 551 Seiten
Preis: 34,95 Euro
ISBN: 978-3-406-78458-3

3 Gedanken zu „Zwischen Spartakus und Bonaparte

  1. „Vielleicht sollte das Heldentum lieber der Literatur überlassen werden – für unsere Geschichte eignet sich dieser Begriff schlicht nicht.“ – sehr guter Punkt. Personenkult verdeckt zu oft, die Wirrnisse des geschichtlichen Geschehens. Mir ist ein loser Haufen Details auch lieber als ein schräg gebautes Türmchen, das selektiv herausgreift und bei jedem weiteren Fakt, der hinzugefügt wird, wieder unter der eigenen Last zusammenbricht.

    • Lieber Herr Carmele,

      da kann ich Ihnen nur zustimmen. Die historischen Fakten sollten auf keinen Fall in ein Narrativ gepresst werden. In Hazareesinghs Fall betrifft dieses Problem zum Glück die Kritiken seines Buchs statt ihn selbst.

  2. Pingback: Kleists schwarz-weiße Welt | literaturundfeuilleton

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